Tierparadies oder Fischfalle?

Wer wirklich von den künstlichen Riffen profitiert

Aufgrund der schlechten Erfahrungen mit dem künstlichen Riff aus Reifen ist die Wissenschaft vorsichtiger geworden. Und so gehen Wissenschaftler der Frage nach, ob die künstlichen Riffe den Meeresbewohner tatsächlich etwas bringen oder ob das Anlegen von künstlichen Riffen nur eine billige Methode bleibt, um Müll zu entsorgen.

Zwei Taucher über versenkten Schiffsfrack
Rachel Anderson und Dr. Paul Arena beim Tauchgang zum Schiffswrack "Orion". | Bild: WDR

"Ein künstliches Riff ist nur dann sinnvoll, wenn es tatsächlich für eine Vermehrung von Fischen sorgt", sagt der Meeresbiologe Paul Arena. Er ergründet schon seit Jahren den Sinn oder Unsinn der künstlichen Riffe. Rachel Anderson hat mit ihm zusammen eine Studie entworfen, die die Frage klären soll, ob Schiffswracks als künstliche Riffe tatsächlich ein Segen für die Natur sind oder nicht.

Vergleichszählungen

Zu diesem Zweck führt Rachel ein Jahr lang Fischzählungen durch, und zwar an absichtlich versenkten Schiffswracks und an nahe gelegenen natürlichen Riffen. Außerdem taucht sie tagsüber und nachts. Denn nur so erhält sie ein vollständiges Bild vom Leben im Riff.

Eine ähnliche Studie hatte Paul Arena vor ein paar Jahren an einem der größten künstlichen Riffe der Welt durchgeführt, am Wrack des Kriegsschiffes "USS Spiegel Grove" vor Key Largo.

"Nachdem wir gehört hatten, dass die "Spiegel Grove" versenkt werden sollte", berichtet Paul, "haben wir mit einer ersten Studie begonnen. Wir wollten wissen, was lebt dort, wo das Schiff versenkt wird. Wir führten also Fischzählungen durch. An der zukünftigen Versenkungsstelle war nur Sand, wir zählten auf der ganzen Fläche nur drei Fische – also ein guter Platz für ein künstliches Riff."

Nach wenigen Stunden schon besiedelt

Schon wenige Stunden nach dem Untergang des Schiffes, waren die ersten Fische da. Große Zackenbarsche hatten offenbar sehr schnell entdeckt, dass die "Spiegel Grove" ein geeigneter Lebensraum für sie ist. Die Zackenbarsche zogen ein und blieben.

Gleichzeitig ergab eine Fischzählung am nahe gelegenen natürlichen Riff, dass es dort keine Zackenbarsche mehr gab. Das natürliche Riff war also durch die Schaffung eines künstlichen Riffs ärmer geworden. Das Ökosystem Riff hatte gelitten. Schadet also ein künstliches Riff den nahe gelegenenen natürlichen Riffen?

So einfach lässt sich die Frage nicht beantworten, denn Rachels Studie hat zudem ergeben: In den künstlichen Riffen leben zum großen Teil ganz andere Arten als in den natürlichen Riffen. So ein Schiffswrack am Meeresgrund ist also kein Ersatz für ein natürliches Riff, es ist vielmehr ein ganz neuer Lebensraum, den es vorher nicht gegeben hat.

Mehr Planktonfresser

Schon nach den ersten Tauchgängen ihrer Studie fiel Rachel eines auf: In den natürlichen Riffen leben ganz andere Fischarten als in den künstlichen. Während in den Schiffswracks die Planktonfresser vorherrschen, leben in den natürlichen Riffen mehr Fleischfresser.

Das würde bedeuten, dass ein Schiffswrack keinesfalls ein Ersatz für ein natürliches Riff ist, sondern dass es einen ganz neuen Lebensraum schafft.

Größerer Fischbestand

Das überraschendste Ergebnis von Rachels Studie: An den künstlichen Riffen leben weit mehr Fische als in den natürlichen. Regelmäßig fand Rachel in den Schiffswracks so große Mengen Fische, wie sie sie in einem natürlichen Riff noch nie gesehen hatte.

Für Paul Arena leitet sich aus diesen Ergebnissen eine wichtige Forderung ab: "Es sollte verboten werden, an diesen Schiffswracks zu fischen. Versenkt man einfach ein Schiffund erzeugt damit eine große Ansammlung von Fischen, dann fördert man die Überfischung. Denn diese Fischschwärme sind so leicht zu finden und zu fangen, dass der Fischbestand nicht größer wird, wie erwünscht, sondern stattdessen rapide sinkt."

Fangverbote?

Paul Arena fordert daher: Wenn schon Schiffe zu Riffen werden sollen, müssen sie auch unter besonderem Schutz stehen, mit strengen Fangverboten. Denn wenn die Schiffswracks nicht mehr befischt werden dürfen, dann werden sich die Bestände darin vermehren, und in die natürlichen Lebensräume der Umgebung abwandern.

Der immense Fischreichtum in den künstlichen Riffen darf aber über eines nicht hinwegtäuschen: immer mehr und immer größere Schiffe zu versenken, ist ein Eingriff des Menschen in die Unterwasserökologie und eine zusätzliche Belastung für das Meer. Sinnvoller wäre es, die natürlichen Riffe konsequent schützen.

Strengere Vorschriften

Zum Schutz der Meere gehört es natürlich auch, keinen Giftmüll ins Meer zu werfen. In den USA sind die Vorschriften zum Versenken ausgedienter Schiffe verschärft worden. Diese müssen nun vor dem Versenken sehr sorgfältig gereinigt werden. Das ist nun so teuer, dass die erste Versenkung in diesem Jahr schon abgesagt wurde. Bedauerlich für die örtlichen Tauch-Veranstalter. Doch der Natur wäre mit ein paar Betonrohren am Meeresgrund ohnehin mehr geholfen.

Autor: Ulf Marquardt
Bearbeitung: Sebastian M. Krämer

Schiffe als Riffe