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Artenschwund – wird unser Grundwasser zu warm?

Höhlenflohkrebs in Nahaufnahme
Der Höhlenflohkrebs. Sein Lebensraum muss kühl bleiben | Bild: Hilmar Rathjen

Das Grundwasser ist der älteste und größte kontinentale Lebensraum in Europa. Doch seine Fauna ist heute noch fast so unbekannt wie die der Tiefsee. Dabei schätzen Experten, dass in dieser eher lebensfeindlichen Umgebung, 50.000 bis 100.000 verschiedene Grundwasser- und Höhlenarten leben. Der Grundwasserökologe Dr. Hans Jürgen Hahn kämpft seit 20 Jahren für den Schutz dieser noch wenig erforschten und geheimnisvollen Lebewesen. Denn sie spielen eine wichtige Rolle bei der Reinigung des Grundwassers und damit für die Qualität unseres Trinkwassers.

Seit 30 Millionen Jahren hat sich an der Umwelt der Grundwasser-Tiere wenig geändert. Doch jetzt steigen an vielen Orten die Temperaturen im Grundwasser an. Für die Tiere, die in ihm leben, eine tödliche Gefahr. Die meisten der 250 in Deutschland vorkommenden Grundwassertiere gehören zu den Krebsen. Darunter ist der 300 Millionen Jahre alte Brunnenkrebs, ein "lebendes Fossil". Häufiger findet man Hüpferlinge, Flohkrebse, Grundwasserasseln, aber auch verschiedene Muscheln, Schnecken und Würmer. Alle Tiere, die im Grundwasser leben, sind blind, durchscheinend und wirken zart. Sie leben in absoluter Finsternis und benötigen dadurch keine Pigmentierung und keine Sehfähigkeit. In ihrer Welt gibt es sehr wenig Nahrung, da nur wenige organische Nahrungspartikel von der Erdoberfläche ins Grundwasser gelangen und kaum Sauerstoff vorhanden ist.

Die "Hungerkünstler" führen ein Leben auf "Sparflamme" und können mehrere Monate ohne Nahrung auskommen. Die Grundwasserassel zum Beispiel bewegt sich dann kaum und verbraucht extrem wenig Energie. Oberirdische, verwandte Arten verhungern unter solchen Bedingungen. Daher sind die Grundwassertiere in ihrem Lebensraum schon seit Urzeiten ohne Konkurrenz und nicht dem evolutionären Druck ausgesetzt, sich verändern zu müssen. Nur hochspezialisierte Arten können unter diesen Bedingungen überleben – dafür sind sie aber extrem störanfällig für Veränderungen – und zunehmend bedroht.

Grundwassertiere in Gefahr

Durch die intensive Landwirtschaft gelangen Dünger- und Pestizidrückstände in den Lebensraum der Grundwassertiere. Das ist bekannt. Neu ist jedoch, dass auch die Erwärmung des Grundwassers für sie tödlich sein kann. Langfristig gefährdet das auch die Qualität unseres Trinkwassers: Denn die Grundwassertiere fressen nicht nur die organischen Partikel, die bis ins Grundwasser gelangen und es verunreinigen, sondern auch Bakterien, die dort ebenfalls vorkommen. Zudem verhindern sie, dass die feinen wassergefüllten Poren in den grundwasserführenden Schichten verstopfen. So kann das Grundwasser ungehindert fließen.

Wie problematisch die Erwärmung des Grundwassers ist, hat Hans Jürgen Hahn in einem aufwendigen wissenschaftlichen Pilotprojekt nachgewiesen. Dazu haben er und seine Mitarbeiter am Oberrheingraben ein Jahr lang regelmäßig Proben an 70 verschiedenen Stellen entnommen, die Temperatur gemessen und die darin lebenden Tiere bestimmt. Da das Grundwasser natürlicherweise von oberirdischen Einflüssen weitgehend abgeschirmt ist, hat es in Deutschland zumeist eine durchschnittliche Temperatur zwischen 8 und 12 Grad. Doch in vielen siedlungsnahen Bereichen steigt die Temperatur auf 14 oder 15 Grad, in manchen Städten sogar auf über 20 Grad.

Nach allem, was die Forscher bisher wissen, ist das für die Grundwassertiere tödlich. Darüber hinaus verändern höhere Temperaturen auch die Zusammensetzung und die Anzahl der Bakterien im Grundwasser. Die Prognose ist, dass es mehr Arten geben wird und ihre Wachstumsgeschwindigkeit zunimmt. Die Trinkwasseraufbereitung wird dadurch schwieriger und teurer. Ein bisher kaum bekanntes Problem.

Erwärmung ist auch eine "Verschmutzung"

Zwei Männer stehen mit einem Temperaturmesstab vor einem Gebäude in einer Stadt.
15 Grad Grundwassertemperatur ist schon zu viel. Messung in der Stadt.

Jede versiegelte Fläche, wie auch jedes bauliche Eindringen in den Untergrund, sorgt für eine Aufheizung des Bodens. Besonders groß ist das Problem unter den Städten: U-Bahnen, Parkhäuser, Bürotürme, Straßen, Kanäle, Leitungen und Klimaanlagen strahlen Wärme in den Untergrund ab. Aber auch außerhalb großer Städte und in ländlichen Gebieten steigen vielerorts die Temperaturen des Grundwassers. Der Grund dafür: eine eigentlich klimafreundliche Technik, die Geothermie. Im Zuge der Klimawende wird Grundwasser zunehmend zum Heizen, aber auch zum Betrieb von Klimaanlagen genutzt. Und das passiert vor allem dort, wo neue Bau- und Gewerbegebiete entstehen, also in der Peripherie der Städte und im Umland. Also auch in den Gegenden, wo bisher ein Großteil unseres Trinkwassers entnommen wird.

Ganz abgesehen von dem Nutzen für den Menschen, stehen in Deutschland einzigartige Lebensräume und ihre Tiere unter Schutz. Bei oberirdischen Gewässern gelten strenge gesetzliche Regeln. Für das Grundwasser hingegen gibt es keine gesetzliche Regelung und keine begrenzenden Schwellenwerte für die Erwärmung. Auch fehlen Vorgaben seitens der Politik zum Schutz der Grundwasserfauna. Schwer zu verstehen, denn Grundwasser ist unsere mit Abstand wichtigste Trinkwasserquelle. Auch deshalb sollten wir sie schützen: Die zarten und faszinierenden Lebewesen in ihrer Welt unter unseren Füßen.

Autorin: Anja Galonska (HR)

Stand: 03.07.2020 14:27 Uhr

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