Sa., 18.02.23 | 23:45 Uhr
Das Erste
Alexander Höner: Die Lügen der Tröster
Guten Abend, meine Damen und Herren!
In meiner Studienzeit hat mich ein besonderer Text richtig umgehauen. Der Titel: „Die Lügen der Tröster“. Dieser provozierende Aufsatz fragt: Was ist die größte Lüge beim Trösten? Wer sind die besten Trösterinnen und Tröster? Diejenigen, die gut, glatt und erfolgreich durch’s Leben kommen?
Nein, das ist 'ne Lüge! Die besseren Tröster sind die, die selber ab und zu auch mal aus der Bahn fliegen und nicht mehr weiterwissen. Mich persönlich haben die Menschen getröstet, die ähnliche Narben im Leben tragen wie ich.
Aber was sagen, wenn alle gefühlt seit drei Jahren in einem Krisenmodus stecken? Was sagen, wenn ich mir manchmal sogar selbst nichts Tröstliches mehr zu sagen habe?
„Krise als Chance“ oder „Erfreue dich an den kleinen schönen Momenten“ – verstehen Sie mich nicht falsch. Das sind gute Ratschläge. Genauso wie „Lasst uns jetzt noch näher zusammenrücken!“ Aber ich merke, dass die Großwetterlage solche dunklen Schatten wirft, dass diese Worte mich nicht trösten. Es bleibt ein Gefühl der Angst vor dem Ungewissen. So eine tiefsitzende, beklemmende Angst vor der Zukunft.
„Höner, Scheiße bleibt Scheiße!“ hat mein alter Griechisch-Lehrer immer gerufen, wenn ich versucht habe einen Fehler gut zu reden. Und das ist gerade die größere Wahrheit – finde ich. Es gibt aktuell so viel Leid, so viele ungelöste Probleme, da helfen kein Gutreden, keine klugen Sprüche, kein billiger Trost. Das wischt nur weg und nimmt die Kraft, die im Zerbrochenen liegt. Wird schon wieder. Nein! Wir wissen nicht, ob es wieder wird. Niemand weiß das. Und wenn wir diesen Schmerz wirklich ernst nehmen, werden wir uns ganz anders zuhören – echter, ehrlicher.
Ich kenne das aus persönlicher Erfahrung. In Krisen habe ich mich von denen am besten verstanden gefühlt, die so etwas auch schon einmal erlebt haben. Die den Schmerz kennen. Beim Trauern haben diejenigen mir am meisten geholfen, die selbst schon einen lieben Menschen verloren haben. Die haben den Schmerz nicht weggewischt, die haben den Schmerz mit mir geteilt.
„Keiner spürt es so wie du“ – das war mal der Slogan einer Baumarktkette. „Keiner spürt es so wie du“. – Ein Grundsatz in der Seelsorge. Zum ersten Mal „umgesetzt“, als Jesus auf die Welt kommt.
Gott merkt, er muss Mensch werden, damit er das Leben so spürt wie wir. Mit seinen Schönheiten und seinem Schmerz. „Und Jesus gingen die Augen über“ (Joh 11,35) heißt es in einer Geschichte. Jesus weint über einen verstorbenen Freund. Gott weint. Er tröstet den Schmerz nicht weg, er durchlebt ihn mit. Es klingt verrückt: Kein starker Gott, der alles kann, tröstet mich und hat mich persönlich zu einem religiösen Menschen gemacht, sondern ein Gott, der mitfühlt, der lacht und weint. Für mich ein echter Trost. Vielleicht auch für Sie. Kommen Sie behütet durch die Nacht!