Sa., 16.03.24 | 23:50 Uhr
Das Erste
Anke Prumbaum: Andere Welten
Andere Welten
Guten Abend!
Ich habe in dieser Woche eine Scheibe beim Glaser abgeholt. Ich stehe an der Kasse und gucke in das Büro dahinter, da steht ein Hundenapf. Im Raum daneben auch. Neben der Kassentheke auch. Ich hab gelacht.
"Haben Sie hier so viele Hunde?" "Nein", sagt der Verkäufer. "Nur einen. Aber der ist schon so alt, er ist dement. Der weiß nicht mehr, wo sein Napf ist. Deshalb haben wir hier in jeden Raum einen gestellt."
Locker erzählt er vom Hund, der manchmal verwirrt auf dem Hof steht und nicht weiß, wohin. Auf einmal sagt er, und ich merke wie er traurig wird: "Meine Oma war auch dement." Ich denke an meine eigene Oma. Am Ende lag sie nur noch, hat keinen mehr erkannt, Blick starr zur Decke.
Der Verkäufer beim Glaser konnte leicht über den Hund reden. Als er über seine Oma sprach, wurde es ihm schwer. Es kann fast jede und jeder solche Geschichten von Angehörigen erzählen.
Es sind Geschichten voller Schmerz über das schleichende Verschwinden von geliebten Menschen. Die Person geht, der Körper bleibt zurück – so beschreiben es manche. Ich weiß das aus eigener Erfahrung und als Krankenhausseelsorgerin auch aus Gesprächen mit Angehörigen. Wie traurig das ist und wie schlimm, wenn ich nicht folgen kann in diese Welten, in die ein Mensch hineingeht in der Demenz.
Eine Mitarbeiterin in dem Krankenhaus, in dem ich als Seelsorgerin arbeite, macht Trainings für Angehörige von Demenzkranken. Sie hat einen Holzkasten, in dem Spiegel angebracht sind. Das ist ein Simulationskasten, wie es Menschen in der Demenz ergeht.
Man schaut da rein und sieht auf Papier einen Stern gezeichnet, und soll nun selbst mit dem Stift diesen Stern nachzeichnen. Das ist aber mit den Spiegeln und ihrer Anordnung so gut wie nicht möglich. Es wird zittrig, schief und krumm, oft nicht als Stern zu erkennen, so sehr man sich anstrengt und bemüht. Es ist total frustrierend, es kann einen wahnsinnig machen. Und wütend. Und traurig. Beide Seiten. Den, der’s versucht, und den, der dabei hilflos zusehen muss.
Zugleich ist die Sehnsucht da – mit dem Menschen da in den anderen Welten irgendwie in Beziehung zu bleiben. Etwas zum Anknüpfen zu haben. Wie halte ich als "Gesunde" die Erinnerung wach, die im Anderen verschwindet?
Mitarbeitende in Pflegeheimen erzählen, wie wichtig es ist, viel vom Leben und der Persönlichkeit dieses Menschen sehr frühzeitig kennengelernt zu haben. Also reden, vorher, viel. Angehörige erzählen, wie wichtig es ist, geduldig zu sein, nicht zu korrigieren, den dementen Menschen in seiner Welt zu bestätigen. Und nicht verletzt zu sein, wenn man womöglich nicht einmal mehr erkannt wird. Und das von der eigenen Mutter oder dem Ehemann. Das ist leicht gesagt. Der Schmerz, das zu erleben, ist ein anderes.
Aber manchmal gibt es Momente, wo für Sekunden die Person aus dieser anderen Welt zurückkommt. Bevor sie wieder geht. Meine schönste Erfahrung war, als eine hochbetagte Dame in das alte Lied mit eingefallen ist, das ich gesungen habe: Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren. Sie hatte drei Jahre nicht mehr gesprochen. Aber das Lied singen, das konnte sie noch.
Mir hilft, zu vertrauen. Bei Gott ist das Leben aufgehoben. Daran glaube ich. Gut aufgehoben. Jede Persönlichkeit, jede Lebensgeschichte, jeder Gedanke. Bei Gott bleibt der Mensch verbunden mit seiner Geschichte, auch wenn er es selbst nicht mehr weiß. So verwirrt der Mensch auch ist. Er ist gehalten. Und alles, was zu ihm gehört, auch.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag.