Sa., 23.11.24 | 23:50 Uhr
Das Erste
Pastorin Annette Behnken: Der letzte Feind
Der letzte Feind
Sie kennen bestimmt diese ersten Male, an die man sich ein Leben lang erinnert. Der erste Kuss. Der erste Liebeskummer. Oder – das klingt jetzt wahrscheinlich n bisschen bizarr, aber für mich hat es eine große Bedeutung gehabt damals – ich erinnere ich daran, wie ich das erste Mal einen toten Menschen gesehen habe. Meine Großmutter war das. In ihrem Dorf war es damals noch üblich, Verstorbene in der Friedhofskapelle aufzubahren.
Ich war ein Kind und erinnere mich, dass ganz viele schwarz gekleidete Leute in der Kapelle um meine tote Großmutter herumstanden. Ich war ganz froh, dass ich ein bisschen weiter weg stand und ganz vorsichtig gucken konnte. Ich hatte ja zuvor noch nie einen toten Menschen gesehen. Und dann war es irgendwie in Ordnung, sie da so zu sehen. Traurig, klar, aber auch in Ordnung. Ich glaube, ich habe gefühlt, dass für die Menschen damals in diesem kleinen norddeutschen Dorf, der Tod zum Leben gehört. Was die Trauer und den Schmerz natürlich überhaupt nicht weg macht. Aber ich habe etwas gespürt wie einen unaufgeregten Respekt vor dem Tod.
Und das begleitet mich bis heute, wenn ich zur Arbeit gehe. Ich arbeite als Seelsorgerin in einem Krankenhaus und da begegne ich fast täglich Tod und Sterben. Ich erlebe den Schmerz, den der Tod verursacht. Aber auch, wie Menschen einander nah sind und fühlen, wie kostbar jede Sekunde Leben ist. Und was mich sehr berührt: Ich erlebe Menschen, die so kurz vor dem Ende so echt und so unverstellt sind, wie vielleicht nie vorher im Leben.
Auf einmal ist er da: Der Tod. Wir setzen Himmel und Hölle in Bewegung, um ihn zu vergessen. Aber er uns in die DNA eingeschrieben. Im Kopf ist das uns allen klar. Aber es ist nochmal was völlig anderes, wenn einem der Tod ganz nah kommt. Wenn ich das Sterben eines Menschen begleite. Von jemandem Abschied nehmen muss. Oder erfahre, dass ich bald sterben muss. Das ist ein Schmerz, der nicht in Worte zu fassen ist. Und oft entsteht zugleich eine Klarheit für die Kostbarkeit des Lebens, die ich vorher so nicht kannte.
Nur sehen wir ja gerade so viele Bilder vom Tod, die ihn von seiner dreckigen Seite zeigen. Überall da ist der Tod ein Spiegel dafür, wie lebens- und menschenfeindlich wir Menschen sein können. Und sind. Und gerade deshalb ist es heilsam, den Tod nicht zu verdrängen. Sonden über ihn nachzudenken, zu sprechen, ihn wahr sein zu lassen. Das ist tiefe Erfahrungsweisheit aller großen Religionen: Bedenke, dass du sterben musst, damit du klug wirst. So hart der Tod ist - das Wissen um ihn weckt die Ehrfurcht vor dem Leben. Und macht radikal klar, wie kostbar jede Sekunde ist.
Morgen, am Ewigkeitssonntag oder Totensonntag nennen wir in der evangelischen Kirche die Namen der Menschen, die im vergangenen Jahr gestorben sind und zünden für jeden Namen eine Kerze an. Wir sind nicht ewig auf Erden., Wenn morgen die Kerzen brennen, dann leuchten sie auch für das Leben. Viele kleine Flammen für die unendlich vielen Kostbarkeitsmomente des Lebens. Und für das Leben, das durch den Tod hindurch weitergeht.
Kommen Sie gut durch diese Nacht.