Sa., 07.12.24 | 23:35 Uhr
Das Erste
Annette Behnken: Himmel und Hölle
Himmel und Hölle
Der Advent. Ich bin ganz froh, dass mein Verhältnis zu ihm wieder ganz okay ist. Ehrlich gesagt: Er bedeutet mir sogar ziemlich viel inzwischen. Dafür musste ich aber erstmal eine ausgewachsene Adventsallergie überwinden. Ausgelöst dadurch, dass ich als Pastorin jedes Jahr auf sämtliche Adventsfeiern im Ort eingeladen war und irgendwann einfach eine Überdosis hatte, an adventlichem – Kitsch. Advent war gefühlt nur noch goldenes Klingeling mit Kunstschnee und Blockflöten – nichts gegen Blockflöten, aber – naja, Sie wissen schon. Aber ich habe sie überwunden, meine Adventsallergie.
Geholfen hat damals ein ganz wunderbares Live-Konzert, das mich so berührt hat, dass es dann doch irgendwie wieder langsam Advent werden konnte für mich. Und ich über die Musik kapiert habe, dass das einen großen Teil des adventlichen Zaubers für mich ausmacht: Dass ich berührbarer bin in dieser Zeit, als sonst. Und sehnsüchtiger. Wahrscheinlich auch dünnhäutiger und melancholischer. Aber, das habe ich inzwischen mit meinen über 50 Jahren kapiert: Das ist was Gutes. Wenn man so offenporig wird.
Klar, Advent ist auch Zeit für Weihnachtsmarkt mit Glühwein, Bratwurst, Schmalzkuchen und Erzgebirgsengeln. Die Menschen fluten in diesen Tagen ja geradezu die Weihnachtsmärkte. Weil wir das offenbar gerade sehr brauchen: Die Bratwurst, die so herrlich nach Normalität schmeckt und den Glühwein, der duftet wie alle Jahre wieder und Friede auf Erden und fürchtet euch nicht. Wir saugen Behaglichkeit und Nostalgie auf, weil es guttut und für den Moment die Seele abpuffert. Gegen den Schrecken von hunderttausenden Toten, die in den Kriegen allein in diesem Jahr gestorben sind. Gegen die Zukunftsangst, die ganz viele Gesichter hat. Advent bedeutet aber nicht, das Schreckliche einfach auszublenden. Denn der Advent ist die Zeit für die ganz, ganz großen Sehnsüchte: Dass einfach mal alles gut ist. Und wenn auch nur für den Moment. Dass die Bomben schweigen und Frieden und Gerechtigkeit sich küssen.
Und deshalb ist Advent eben auch adventure – Abenteuer, weil es aufregend ist, wenn die Sehnsucht Raum greift und tief Verschüttetes in uns freilegt. Und nicht zu unterschätzen ist, was für eine Kraft darin liegt. Visionäre Kraft. „Aus unendlichen Sehnsüchten steigen endliche Taten“, wusste Rainer Maria Rilke.
Der Advent. Die dunkelste Zeit des Jahres. Und ich mag das unheimlich gern.
Diese ganz tiefe Atmosphäre aus Dunkelheit, Kerzen, Zimt und Sehnsucht. Und egal, wieviel Stress und Druck - mir kommts jedes Jahr so vor, als würde die Zeit anders fließen. Und meine Sinne sich anders kalibrieren. Das Innere meldet sich. In Träumen und Dünnhäutigkeit. Die Aufmerksamkeit geht nach innen, in die Tiefenräume der Seele. In denen Möglichkeiten schlummern und darauf warten, geboren zu werden. Denn da, im Innern, da passieren Advent und Weihnachten. Der christliche Mystiker Meister Eckhart hat davon gesprochen, dass die Geburt Gottes etwas ist, das in unserer Seele oder im Herzen passiert. Er hat gefragt: „Wenn diese Geburt nicht in mir geschieht, was hilft es mir dann?“
Ja, was hilft es? Die Welt wird das nicht einfach ändern. Es wird nicht alles gut werden. Unsere Welt ist Himmel und Hölle. Und alles Mögliche und Unmögliche dazwischen. Und wird`s auch bleiben. Der Advent ändert in wenigen Wochen nicht die Welt. Aber uns. Wir stehen anders in dieser Welt, wir gehen anders um mit der Welt, miteinander, wenn wir berührbar, verletzbar und verzauberbar sind.
Das kann der Advent: Uns offenporig machen, nach innen und nach außen. Was für ein Abenteuer, wenn wir ahnen, dass in uns ein neuer Anfang geboren wird.