Sa., 01.02.25 | 23:50 Uhr
Das Erste
Pastorin Annette Behnken: Wertewende
Ich unterrichte zur Zeit in einer Pflegefachschule. Im Kurs 17 Azubis, 12 Nationalitäten. Es sind Menschen wie sie, wegen denen unsere Krankenhäuser uns - noch - versorgen können. 12 Nationalitäten: Manche erzählen offen von ihren Fluchterfahrungen. Ich hab gestern in ihre Gesichter geschaut und hatte das Bedürfnis, mich zu entschuldigen dafür, wie in diesen Tagen Geflüchtete herhalten müssen für eine Politik, die wie eine Ohrfeige ist für jede und jeden von ihnen. Wir haben lange gesprochen, über ihre Angst und ihr Erschrecken.
In diesen Tagen scheiden sich die Geister. Es wird offenbar, wer wo steht. Und wer Haltung hat und Rückgrat.
In diesen Tagen merke ich so deutlich wie lange nicht, dass mein christlicher Glaube im Kern total politisch ist. Ich glaube an Sanftmut, Friedfertigkeit, Barmherzigkeit. Und an Geschwisterlichkeit. Das ist für mich eigentlich das Stärkste dabei: Die Geschwisterlichkeit. Die stark ist in ihrer Schwäche für andere. Und machtvoll in ihrem Verzicht auf Macht. Das ist Gegenteil von irgendeinem „great again“.
Aber all das wird pervertiert, wo sich – wer auch immer - darauf beruft, durch Gottes Willen zu herrschen. Der Gott der Bibel steht nicht an den Thronen der Mächtigen. Der ist da, wo das Kreuz ist. Auf der Seite der Verletzlichsten unter uns. Der Looser und Zerbrochenen und Entrechteten.
Und ich sehe, wie dieser Glaube verraten und vereinnahmt wird und nicht nur der, auch die grundlegenden Werte unserer Verfassung.
Wo Politik unbarmherzig, menschenverachtend und menschenrechtswidrig agiert, hat das Wort christlich nichts zu suchen.
Es wird offenbar in diesen Tagen, wer wo steht. Und Gott sei Dank gehen Viele auf die Straßen und zeigen ihre Haltung. Das ist ein starkes Zeichen, das Hoffnung macht, Kräfte mobilisiert. Das können wir auf langer Strecke nicht alleine, dafür braucht`s Gemeinschaft. Geschwisterlichkeit. Und einen langen Atem. In diesen Tagen. In denen es faktenbasierte Argumente schwer haben gegen Symbolpolitik und Scheinlösungen. Weil gemeinsames Aushandeln eben dauert. Sanftmut und Friedfertigkeit kommen langsamer und stiller daher.
Aber nur so kommen wir zu einer geschwisterlichen Welt. Wenn wir das wollen.
Vor 80 Jahren hat die evangelische Kirche ein Bekenntnis voller Reue verfasst. Und Worte gefunden, die so aktuell sind, wie lange nicht. Die lauten: „Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“
Diese brennende Liebe brauchen wir. Und Ausdauer auf der Strecke. Und dabei hilft mir der Glaube. Oder mit Worten von Martin Luther King, dass „Liebe über dem Weltall wacht und dass der Mensch in seinem Kampf um Gerechtigkeit überirdischen Beistand genießt.“
Kommen Sie gut durch die Nacht.