SENDETERMIN Sa., 08.02.25 | 23:45 Uhr | ARTE

Magdalena Kiess: Was uns jetzt trägt

Magdalena Kiess: Was uns jetzt trägt | Video verfügbar bis 07.02.2030 | Bild: ARD/RBB/Oliver Ziebe

Guten Abend,

in diesen Tagen weiß ich oft nicht, was ich fühlen soll. Nicht weit von meinem Arbeitsplatz in Berlin wurde eine Partei-Geschäftsstelle von Vermummten gestürmt und verwüstet. Mitarbeiter wurden bedroht, hoher Schaden ist entstanden. Das hat mich erschüttert.

Auf einer Mahnwache in Aschaffenburg entschuldigt sich ein Mädchen unter Tränen für die Bluttat eines ihr völlig fremden Kriminellen – nur weil beide zufällig afghanische Wurzeln haben. „Menschen denken, weil ich Afghanin bin, dass ich böse bin“, sagt sie. Das geht mir unter die Haut.Auf einer Berliner Demo wird der Slogan: "Ganz Berlin hasst die CDU" an die Siegessäule projiziert. Puh. Hass ist krass! Hass unter unserer Goldelse, dem FRIEDENSengel? Noch vor wenigen Jahren das Ziel der LOVEparade?

Diesen Cocktail aus Verunsicherung, Ärger und Erschrecken kenne ich so nicht. Ich bin 1990 geboren, in Frieden, Sicherheit und Demokratie. Gott sei Dank! Ist es jetzt an der Zeit, Zukunftsangst zu haben? Ich fürchte keinen Streit. Politik lebt vom Ringen um Kompromisse, vom Abwägen zwischen Ideal und Machbarem. Ich habe ein paar Jahre im Bundestag gearbeitet und erlebt, dass man auch mal mit harten Bandagen kämpft. Aber eben: mit Bandagen – nicht mit blankem Hass. Position zu beziehen ist wichtig. Wenn politische Erfolge mit Hilfe rechter Kräfte errungen werden, ist für viele eine Grenze überschritten. Doch die Antwort kann nicht sein, noch mehr Grenzüberschreitungen zuzulassen. Wenn es brennt, muss man löschen, nicht zündeln. Dieser Hass, der jetzt hochkocht, widerspricht allem, woran ich als Christin glaube. Er zerstört. Und meine Befürchtung: Nicht nur die Brandmauer ist eingerissen, vielleicht ist noch mehr kaputt.

Das Motto der Berliner Demo war "Wir sind die Brandmauer". Ein starkes Bild. Mir gefällt die Vorstellung, dass aus vielen Menschen gemeinsam etwas Großes entstehen kann. Ich hoffe aber, wir sind nicht nur eine Mauer! Denn, wer sich nur durch Abgrenzung definiert, zieht immer neue Mauern hoch. Das hat in der Geschichte noch nie funktioniert und hilft wahrscheinlich auch jetzt nicht weiter. 

Ich stelle mir ein anderes Bild vor und halte es mit der Bibel: "Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen", heißt es da. Wir sollten also an einem gemeinsamen Haus bauen. Jede und jeder von uns ein einzigartiger, lebendiger und wichtiger Stein darin. Nicht starr, kalt und ausgrenzend, sondern tragend, schützend und verbunden. Das Besondere an uns als lebendigen Steinen wäre, dass wir nicht wie echte Steine hart und unbeweglich bleiben, sondern offen und flexibel sind. So können wir auf so manche äußerliche Erschütterung vielleicht auch besser reagieren und sie ausgleichen.

Ein stabiles Bauwerk stelle ich mir vor. Sicher gegründet auf dem Fundament unserer gemeinsamen Werte: Auf Menschenwürde, Solidarität, Verantwortung und Gemeinwohl. Eins, in dem man sich nicht verschanzt, sondern zusammenkommt. Ein Schutzraum für Bedrängte. Also: Packen wir‘s an – es gibt genug zu tun. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.

Sendetermin

Sa., 08.02.25 | 23:45 Uhr
ARTE

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Rundfunk Berlin-Brandenburg
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DasErste