SENDETERMIN Sa., 15.02.25 | 23:35 Uhr | Das Erste

Johanna Vering: "Wir-Zeit"

Johanna Vering: "Wir-Zeit" | Video verfügbar bis 15.02.2030 | Bild: ARD

Guten Abend liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!

Jetzt dürfen Sie mal nur an sich selbst denken: „Me-Time“, Zeit nur für mich, das wird aktuell sehr großgeschrieben. Vielleicht achte ich auch besonders drauf, jedenfalls begegnet mir das überall: Jetzt bist du mal dran. Denk mal nur an Dich.

Das kann ich nachvollziehen. Aber, ich werde Ihnen auch sagen, was mich daran stört. Zunächst: Auch ich sehne mich danach, Zeit für mich zu haben. Das tut wirklich gut und ist wichtig für mich als Person. Andererseits empfinde ich dieses Gerede von „Ich-Zeit“ oft als aufgezwungen. Es wird suggeriert: Ich muss „Me-Time“ haben, sonst lebe ich nicht richtig. Sonst komme ich vielleicht zu kurz.

Mein Mann und ich, wir haben drei Kinder, einen kleinen Hof und arbeiten beide in unseren Berufen. Und dann muss ich auf jeden Fall auch noch Zeit für mich ganz alleine haben? Das klappt einfach nicht. Jedenfalls bei mir nicht. Und es setzt mich unter Druck, dass es aber klappen sollte.

Es gibt offenbar Zeiten im Leben, die keine „Me-Time“ kennen. Im Sinne von „ich alleine“. Manchmal brauchen andere mehr Aufmerksamkeit. Die Kinder, der neue Job, persönliche Krisen, Freunde in Notlagen, älter werdende Eltern. Das ist eine Riesenherausforderung ganz für die da zu sein – keine Frage. Aber ich erlebe, dass solche Situationen mir auch was geben. An manchem wachse ich, ich kann helfen, ich erkenne, wie stark ich auch sein kann. Dass mir vermittelt wird, ich muss „Ich-Zeit“ haben, das stört mich und ich habe Sorge, dass das es schlimme Auswirkungen haben kann. Weil das beobachte ich auch: Aus der „Zeit-für-mich“ wird „nur-noch-Zeit-für-mich“. Und in der Folge isolieren sich die Menschen.

Woher kommt das?  Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht! Heißt das dann umgekehrt: Ich verliere etwas, wenn ich mich mit anderen beschäftige oder für andere da bin? Nein, im Gegenteil, ich mache die Erfahrung, dass ich was gewinne: ich lerne neue interessante Menschen kennen, neue Sichtweisen.

Erschreckend ist allerdings wie Viele mit der Angst, etwas zu verlieren, Politik machen.

Solche Ängste zu verbreiten, trägt aus meiner Sicht genau dazu bei, dass jede und jeder die eigenen Schäfchen ins Trockene bringen will. Und am Ende löst sich unsere Gesellschaft auf, weil niemand mehr für andere da sein will. Aber so will ich nicht leben.

Es kommt nicht nur darauf an, ständig Zeit für mich alleine zu haben, wenn die Zeit mit anderen schön ist, ich es genieße und im besten Fall davon profitiere. „Wir-Zeit“ ist auch „Ich-Zeit“. Für mich passiert das zum Beispiel, wenn doch mal Zeit ist, in Ruhe mit meinen Kindern zusammen zu sein. Oder wenn ich mit anderen zusammensitze und diskutiere. Durchaus mit unterschiedlichen Meinungen, aber respektvoll und mit einem Ergebnis. Manchmal auch, wenn ich unfreiwillig im Zug angequatscht werde, genervt bin und dann entsteht ein total interessantes Gespräch. Dann ist „Wir-Zeit“ gleichzeitig beste „Ich-Zeit“! Auch wenn ich dabei nicht ganz alleine bin.

Und bezogen auf unsere Gesellschaft wünsche ich mir, eine „Wir-Zeit“ auszurufen, um aus dem Einzelkampfmodus herauszukommen.

Gerade in Zeiten mit den schrecklichen Anschlägen, die uns mit unseren Ängsten so isolieren. Ich glaube, dass eine gesellschaftliche „Wir-Zeit“ einiges erleichtert. Es hilft sowohl denen, die sich zurückziehen, als auch jenen, die nie „Ich-Zeit“ haben. Eine Hilfsorganisation hat das in einen super Slogan gefasst: „Das Wir gewinnt.“ Wir brauchen die Kraft von allen in unserem Land - persönlich, gesellschaftlich und politisch. Nur als Wir gewinnen wir.

Sendetermin

Sa., 15.02.25 | 23:35 Uhr
Das Erste

Produktion

Westdeutscher Rundfunk
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