Sa., 08.03.25 | 23:50 Uhr
Das Erste
Conrad Krannich: New Generation
Guten Abend!
Das war heute einer der besseren Tage: der internationale Frauentag. Hinter diesem Tag steht eine Vision des Menschseins. Und das zu feiern und stark zu machen, das scheint mir gerade richtig wichtig.
Ich bin Hochschulseelsorger in Halle. Jeden Mittwoch treffe ich mich mit Studierenden in der urigen Wohnküche unserer Gemeinde an unserem knarzenden Tisch. Schon viele Generationen vor uns saßen hier. Wir beten miteinander, wir kochen miteinander. Uns verbindet der Wille, unser Engagement und die ganz großen Fragen nach dem Woher und dem Wohin irgendwie zusammenzuhalten.
Jeden Mittwoch laden wir Menschen ein, um mit uns zu arbeiten über Themen, die die Studierenden umtreiben: von nachhaltiger Stadtplanung bis queerer DDR-Geschichte war da auch in diesem Semester schon richtig viel dabei.
Unsere Runde beginnt immer damit, dass wir einander vorstellen. „Mein Name ist Conrad; ich nutze die Pronomen er/ihm.“ Für viele Ältere ist das manchmal sehr fremd. Aber: Jeder soll so angesprochen werden, wie er das möchte, und das ist nicht immer auf den ersten Blick klar. Es geht darum, da ein bisschen sensibel zu sein.
Neulich sagte mal eine Referentin: „Ihr seid so behutsam miteinander. Wenn ich so mit Samthandschuhen arbeiten würde, da hätte ich nie erreicht, was ich erreicht habe.“ Und aus dieser kleinen Bemerkung da lunzt ein echter Generationenkonflikt hervor.
Da gibt es die gestandenen Ost-Frauen, die sagen: Wir haben immer gearbeitet, unser ganzes Leben lang. Und keinen Mann haben wir jemals gefragt, ob wir das dürfen. Wir sind LKW gefahren und wir haben Häuser gebaut. Wir haben geliebt, wen wir wollten. Und wenn wir als Frauen mit einer Frau zusammenlebten, dann hat uns das nicht davon abgehalten, trotzdem Kinder zu bekommen.
Die Jüngeren in meiner Studierendengemeinde in Halle, die hören das und sagen: Ja, das habt ihr. Und das wissen wir. Ihr seid die Riesinnen, auf deren Schultern wir stehen. Ihr habt die Freiheiten erstritten, in die wir hineingewachsen sind, als wäre es das Allerselbstverständlichste.Dafür sind wir euch dankbar, sehr sogar.
Aber vergesst doch bitte nicht dies: Neben der Lohnarbeit wart ihr es, die die Kinder großgezogen und Opa gepflegt haben. Kein Mann hat euch da geholfen.
Und die Kämpfe sind doch alles andere als vorbei: Unterschiedliche Bezahlung ist real. Die Pflegelücke ist real. Real sind häusliche Gewalt und eine Gesellschaft, die Femizide noch immer verharmlost. Real ist, dass nach unserem Vortrag an der Uni mehr über unser Outfit gesprochen wird als über Inhalte. Und real ist, dass größenwahnsinnige Männer gerade die Welt neu ordnen, und zwar bis in die Körper von Frauen hinein. Was ihr erreicht habt, das ist so fragil. Und viele Männer tun so als gehe sie das nichts an.
Das antworten die jüngeren Frauen in meiner Gemeinde ihren älteren Schwestern und sagen: Wir führen die Kämpfe weiter, die wir von euch geerbt haben. Und zwar mit denen, die ihr noch gar nicht im Blick hattet. Wir feiern heute euren Frauentag, und wir feiern heute unseren feministischen Kampftag.
Und ich? Und ich teile mit den jungen Christinnen und Christen die Vision von einer Welt, in der alle Menschen leben und lieben können, wie sie wollen. Ich teile die große christliche Hoffnung, dass das möglich ist.
Kommen Sie gut durch die Nacht.