Producer’s Note – Tim Klimeš über "Schuss in der Nacht"

Markus H. (Konstantin Lindhorst, links) und Stephan Ernst (Robin Sondermann, rechts) gemeinsam auf dem Schießstand.
Markus H. und Stephan Ernst gemeinsam auf dem Schießstand. | Bild: HR / Daniel Dornhoefer

»Der Schuss auf Walter Lübcke war nicht der letzte. Mitten hinein in die Vorbereitungen unseres Dokudramas über die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten krachten die Schüsse von Halle und Hanau. Am 9. Oktober 2019, dem jüdischen Jom Kippur, versuchte ein 27-jähriger Neonazi eine Synagoge zu stürmen, um die dort an ihrem höchsten Feiertag versammelten Jüdinnen und Juden niederzuschießen. Zwei Menschen starben bei seiner Irrfahrt, zwei weitere wurden schwer verletzt. Im Februar 2020 dann erschoss im hessischen Hanau ein 43-jähriger Deutscher zehn Menschen und sich selbst. Für seine Tat fuhr er auch vor eine Shisha-Bar. Er wollte Migranten töten.

Das ist die Lage, das ist die Zeit, in der wir leben. Eine Zeit, in der das „Nie wieder“, das sich dieses Land nach 1945 geschworen hatte, wackelt. Nie wieder Auschwitz? Nie wieder Ausländerhass? Nie wieder die hässlichen Deutschen? Sätze, hinter die kein Fragezeichen gehört.

Was hat sich geändert in den vergangenen Jahren? Die Tötung von Walter Lübcke, auch die darauffolgenden Taten, sind nicht ohne die Polarisierung unserer Gesellschaft seit der Migrationskrise von 2015 zu erzählen. Nicht ohne den unverblümten Hass, der es sich mittlerweile auch in der Mitte unserer Gesellschaft bequem gemacht hat. Stephan Ernst wollte, so die Anklage, mit Walter Lübcke einen Vertreter des Staates für seine "liberale Flüchtlingspolitik" abstrafen. "Zwei Kinder gehabt, drei Schichten gearbeitet, verheiratet – ganz normaler Durchschnittsdeutscher", so beschreibt der erste Vorsitzende des Schützenvereins seinen Vereinskameraden Ernst in unserem Film. Das zeigt: Die hässlichen Deutschen tragen heute keine Springerstiefel mehr, sie haben die Köpfe nicht kahlgeschoren und laufen nicht in Bomberjacken rum. Sie sehen aus wie wir alle. Arbeiten wie wir alle. Scherzen wie wir alle. Sie stehen in der Mitte unserer Gesellschaft. Ganz normale Durchschnittsdeutsche.

Auch deswegen haben wir in unserem Dokudrama "Schuss in der Nacht" die authentische Vernehmung von Stephan Ernst ins Zentrum gesetzt. Denn der Täterblick schafft Raum für die wichtigen Fragen, die aus dem Mordfall Lübcke und aus all der rechtsextremistischen Gewalt, die nachfolgte, resultieren: Welches Gedankengut konnte da jahrelang wachsen? Warum konnte es wachsen? Wie gelangte es in unsere Mitte?

Und vor allem: Was können wir alle tun, um diese Entwicklung zu stoppen?«

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