"Alles worauf die Leute wetten, kann manipuliert werden"
Interview mit der Antikorruptions-Expertin Sylvia Schenk von Transparency International
Sportereignisse werden zugunsten gekaufter Wettabsprachen manipuliert. Das beschränkt sich nicht auf Fußball. Erst Anfang des Jahres gab es eine Manipulationsaffäre im Tennis. Welche Sportarten sind noch davon betroffen?
Grundsätzlich sind alle Sportarten davon betroffen oder können betroffen sein. Alles, worauf die Leute wetten, kann auch der Spielmanipulation dienen. Es gibt natürlich bestimmte Konstellationen, die Manipulationen begünstigen oder eben nicht. Zum Beispiel werden in der Ersten Fußball-Bundesliga in Deutschland die Spieler so gut bezahlt, dass man sie nicht einfach mal mit 5.000 Euro bestechen kann. Insofern wird in der ersten Liga eher nicht manipuliert, aber man kann das nicht ausschließen.
Hinzu kommt, dass nicht nur bestochen, sondern auch erpresst wird. Das kann natürlich überall passieren, auch wenn jemand viel verdient. Stellen Sie sich vor, die Wettmafia beobachtet einen Formel-1-Fahrer in einem Bordell und erpresst diesen im Anschluss.
Gibt es einen "Typus" unter den Sportlern, der anfällig für Spielmanipulation ist?
Alle Sportler sind anfällig (lacht) beziehungsweise haben ein hohes Risiko. Es gibt Untersuchungen, wonach besonders junge Männer, die viel Zeit haben, oft mit Migrationshintergrund, anfällig für Glücksspiel sind. Junge Sportler haben neben ihrem Trainingsprogramm oft viel Zeit, besitzen verhältnismäßig viel Geld und sind wettkampforientiert.
Der Weg vom Wetten zur Manipulation ist ein schleichender: Sportler spielen in Wettbüros, steigern ihre Wetteinsätze und verschulden sich dabei. Die Kriminellen nähern sich ihnen dort, bauen Vertrauen auf, haben ein gutes Gespür, wer für Geschäfte in Frage kommt. Diese Erfahrung musste beispielsweise auch Schiedsrichter Robert Hoyzer machen, als er in einem Wettbüro auf seinen Drahtzieher Ante Šapina stieß und 2005 zum Hauptakteur dieses deutschen Fußballskandals wurde.
Gibt es auch Frauen in diesem Umfeld?
Grundsätzlich können natürlich auch Frauen zu Täterinnen werden. Sie sind aber insgesamt weniger an Glücksspiel interessiert und zudem für Dritte von außen psychologisch schwerer einzuschätzen, also eher Unsicherheitsfaktoren. Aber es hat schon Tennisspielerinnen gegeben, die angesprochen wurden. Eine Spielerin wurde vom Verband gesperrt, da sie die Anfrage nicht gemeldet hat.
Kann man Sportler schützen, damit sie sich diesem schmutzigen Geschäft nicht ausliefern?
Die Deutsche Fußball Liga (DFL) hat 2010 gemeinsam mit Transparency Deutschland das erste Präventionsprojekt aufgebaut, einen Ombudsmann ausgewählt, der seit Mai 2011 Aufklärung betreibt und auch Verdachtshinweisen von Sportlern nachgeht.
Das Internationale Olympic Committee (IOC) hat im Dezember 2015 einen "Code of Conduct" verabschiedet und schult dazu die Athletinnen und Athleten, die an den Olympischen Spielen in Rio teilnehmen.
An welchen "Schrauben" muss man Ihrer Meinung nach drehen, um Sportmanipulation zu unterbinden?
Man hatte mal die Vorstellung, dass man mit Radarsystemen oder sogenannten Screenings die Manipulation frühzeitig erkennen und vor bzw. während des Spieles eingreifen könnte. Inzwischen ist es völlig klar, dass das meist nicht funktioniert.
Die Ermittlungen wiederum sind so schwierig, da sich die Kriminalität in einem globalen Netz bewegt. Ich nenne mal ein Beispiel: Der Kopf einer Bande könnte in Thailand sitzen. Die Kontaktmänner kommen aus osteuropäischen Ländern und manipulieren Spieler verschiedener Nationalität eines deutschen Vereins, der gegen einen französischen Verein in Italien spielen.
Die Strafen für Spielmanipulation sind im Vergleich zu jenen der Drogendelikte und Waffenhandel relativ gering.
Die Wettbegeisterung wächst in Deutschland kontinuierlich. Wettbüros schießen wie Pilze aus dem Boden. Die Wettbranche agiert im Graubereich oder illegal. Die gesetzliche Situation ist nicht klar reguliert. Ist der Staat für diesen "Wildwuchs" verantwortlich?
Eindeutig ja! Ich habe noch nie erlebt, dass der Staat über Jahre hinweg bei der Regulierung eines Bereiches, der dringend reguliert werden muss, so versagt. Die Politik hat ihre Aufgabe nicht erledigt.
Auf 500 Milliarden Euro Umsatz wird der weltweite Sportwetten-Markt geschätzt. Ist das eine Größe, die Sie bestätigen?
Wir erheben keine Zahlen. Eine Größe, die ich mir gemerkt habe, ist, dass auf ein Champions-League-Finale rund eine Milliarde Euro gesetzt wurde, und zwar die offizielle Summe. Da weiß man noch nicht, was illegal in irgendwelchen Wettbuden in China oder sonst irgendwo gewettet wird.
Zunehmende Wettbegeisterung, zunehmende Umsätze auf dem Sportwetten-Markt, bedeutet das auch mehr Suchtgefahr durch Spielwetten in der Gesellschaft?
Spielsucht wird bei uns völlig unterschätzt. Das hat man an Uli Hoeneß gesehen. Er ist ein klassisches Beispiel von Spielsucht und Pokermentalität. Sie können allerdings Sportwetten genauso wenig verbieten wie Alkohol. Aber eine völlig unkritische Werbung von Sportwetten-Anbietern in Stadien halte ich für fatal.
Gibt es neue Trends im neuen "global corruption report", der in diesen Tagen veröffentlich wird?
Neue Trends nicht, schon die bisherigen Erkenntnisse zum Thema Spielmanipulation sind noch lange nicht flächendeckend umgesetzt. Wichtig ist die Forderung, dass die Sportverbände umfassend Wetten auf die eigene Sportart verbieten, um so die Verführbarkeit durch die Kontrollillusion auszuschalten.
Das Interview führte Andrea Rickert