Leben und Wirken von Jugendrichterin Kirsten Heisig
Vier Jahre nach dem Tod von Kirsten Heisig wurde das Wirken der Berliner Jugendrichterin verfilmt. Warum? "Kirsten Heisig hat mich fasziniert, weil sie eine moderne, starke und gleichzeitig eine in sich gebrochene Figur ist", erklärt der Filmemacher Christian Wagner.
Kirsten Heisig trat gerade in ihrer Arbeit als Jugendrichterin jahrelang äußerst zielstrebig und kraftvoll auf. Aber wie fühlte sich die „laute“ Kämpferin nach 23 Berufsjahren? Am 3. Juli 2010 fand die Polizei Kirsten Heisig nach tagelanger Suche in einem Wald in Heiligensee – an einem Baum erhängt.
In den Medien und von der Öffentlichkeit wurde sie als Karrierefrau wahrgenommen. Sie war Deutschlands bekannteste Jugendrichterin. Mit ihrem Engagement für die Reform des Jugendstrafrechts hatte sie sich über Berlin hinaus einen Namen gemacht. Der Nachwelt hat die zweifache Mutter eine Dokumentation ihrer Lebensaufgabe hinterlassen: Vier Wochen nach ihrem Tod erschien das Buch "Das Ende der Geduld“ – und wurde umgehend zum Bestseller.
Die Fehler in der Gesellschaft
Kriminelle Karrieren kann man verhindern, nicht nur durch Bestrafung, sondern bereits durch Vorbeugung. Nach jahrelanger Erfahrung als Jugendrichterin kommt Kristin Heisig, die 2008 freiwillig den größten Brennpunkt Berlins Neukölln übernimmt, zu dieser Überzeugung. Sie glaubt, dass es bei Jugendlichen einen Zusammenhang zwischen mangelnder Bildung und Straftaten gibt. Sie will das Desinteresse von Einwanderfamilien an der schulischen Bildung ihrer Zöglinge nicht hinnehmen, die Verweigerung der Clans sich zu integrieren, nicht akzeptieren. Kinder aus sozial schwachen Familien sollen ihrer Meinung nach früher in Kitas gebracht und das Schulschwänzen härter sanktioniert werden.
Für schwerkriminelle Jugendliche sieht sie als letzte Konsequenz das geschlossene Heim. Es soll abschrecken. Denn Strafen sind in ihren Augen sinnvoll, wenn sie bei dem Verurteilten Wirkung zeigen, eine Erkenntnis in ihm reifen lassen.
Der Weg in die Öffentlichkeit
Die Richterin hat den Ehrgeiz, eine Diskussion anzustoßen. Das gelingt ihr: Ende November 2006 kommt sie mit ihrem Kollegen Günter Räcke wegen eines Interviews im Tagesspiegel erstmals bundesweit in die Schlagzeilen. Die beiden Jugendrichter beklagen die Zunahme der Gewaltdelikte und Heisig sagt: "Es sind vor allem die türkisch- und arabischstämmigen Jugendlichen, die vermehrt Gewaltdelikte begehen." Heisig stellt die deutschen Migrations- und Integrationskonzepte in Frage, sie sind ihr zu "weich", sie fordert mehr Staat im Kampf gegen Jugendkriminalität. Sowohl das düstere Bild, das Heisig über die Jugendgewalt in Berlin malt, als auch die Tatsache, dass sie ihre eigene Wirkungsstätte kritisiert, stoßen bei Kollegen und Wegbegleitern auf starke Kritik.
Um auf die Missstände in ihrem Bezirk aufmerksam zu machen, nutzt Kirsten Heisig die Medien weiterhin sehr geschickt. Umgekehrt gehen die Medien nicht zimperlich mit ihr um. Sie wird wegen ihrer unbequemen Wahrheiten und ihrer harten Jugendstrafen vor Gericht immer wieder als "Richterin Gnadenlos", "der Schrecken Neuköllns" oder "Mrs Tough" betitelt.
Wie ticken jugendliche Kriminelle?
Kirstin Heisig bleibt nicht nur in ihrem Büro E 302 am Amtsgericht Berlin Tiergarten sitzen. Sie wechselt die schwarze Robe häufig gegen Jeans und geht hinaus auf die Straßen Neuköllns, sie klingelt an Haustüren und knüpft Verbindungen zu türkischen und arabischen Vereinen. Sie kontaktiert die Polizei, die Ämter, die Politiker. Sie beklagt die Zustände in den Schulen, sie hält Vorträge auf Elternabenden. Sie sucht den Kontakt zu den Kriminellen. Mit der Zeit kennt die Richterin, die seit 1993 in diesem Beruf arbeitet, das Milieu sehr gut.
Taten statt Worte
Kirsten Heisig entwickelt mit ihrem Kollegen Stephan Kuperion ein Instrument zur effektiveren Verfolgung jugendlicher Straftäter: zum einen setzt sie durch, dass der Zeitraum zwischen Tat und Hauptverhandlung verkürzt wird. Zum anderen erreicht sie, dass Polizei, Jugendamt, Schule, Staatsanwaltschaft und Richter enger zusammenarbeiten. Das erhöht den Informationsfluss und das Arbeitstempo.
Damit ist das sogenannten Neuköllner Modell¸ die geschicktere Nutzung der §76 ff. des Jugendgerichtsgesetz (JGG), geboren. Sanktionen können rascher erfolgen, sonst haben sie nach Heisigs Meinung keinen erzieherischen Effekt. Das nach ihrem Zuständigkeitsbereich benannte Modell wird heute über Berlin hinaus eingesetzt.
Auch noch vier Jahre nach ihrem Tod ist Kerstin Heisig nicht vergessen. Sie hat nachhaltig den Justizapparat aufgerüttelt und mitgestaltet, eine Diskussion um jugendliche Gewalttäter entfacht und nicht zuletzt mit ihrem Buch ein Erbe hinterlassen.
Autorin: Andrea Rickert
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