Gespräch mit Sven Bohse

Regisseur

Regisseur Sven Bohse
Regisseur Sven Bohse | Bild: NDR / Christine Schroeder

Was hat Sie als Komödienregisseur ins Krimifach verschlagen?

Die Neugier und der Wunsch danach, dieses Genre ästhetisch wie inhaltlich zu erkunden. Ich habe lange Zeit leichtere Stoffe verfilmt, mich aber in letzter Zeit mehr Richtung Drama orientiert, weil es mich interessiert hat, in den Geschichten existenziellere Grenzsituationen auszuloten. Am Krimi finde ich reizvoll, neben dramatischen Grundkonflikten auch viel mit Spannung arbeiten zu können.

Ihr erster "Tatort" spielt an der Küste. Welche Rolle spielt die Region in Ihrem Film?

Der Norden eignet sich hervorragend als Kulisse für einen Krimi. Wir haben gesagt: Die Natur Nordfrieslands spielt in ihrer Dimension und Wuchtigkeit eine wichtige Rolle, weil sie die Innenwelten der Figuren spiegelt. Besonders im Meer steckt eine Urgewalt, die bedrohlich, aber auch anziehend ist. Der Reiz, sich einer Gefahr auszuliefern, der man eventuell nicht gewachsen ist. Die Nordsee hat in diesem Sinne auch eine mythische Aufladung. In der Rungholt-Sage, die wir für unsere Geschichte aufgreifen, werden die Bewohner einer Küstenstadt, die sich versündigt haben, von einer Flut hinweggespült. Im Kern geht es dabei um die Furcht, von Gott bestraft zu werden, wenn man bestimmte Grenzen überschreitet.

Zum Beispiel in einer Liebesgeschichte, die anrüchig ist?

Genau, die Beziehung der Zeugin Famke Oejen zu Kommissar Borowski hat eine unheimliche Kraft. Borowski und die Frau sind an unterschiedlichen Polen angesiedelt. Borowski verkörpert das Rationale, durchleuchtet die Dinge und kontrolliert seine Gefühle. Darin sind wohl auch die Gründe zu suchen, warum er allein ist. Auf der anderen Seite gibt sich Famke Oejen so sehr dem Emotionalen hin, dass es an Wahnsinn grenzt. Sie lässt sich mit einem Fremden auf ein Wagnis ein, weder in die Vergangenheit noch in die Zukunft zu schauen, und erhebt das Jetzt zum Credo ihrer Liebe. Es war unser Grundgedanke, Borowski in dieser Konstellation als Ermittler und Mensch eine Grenzerfahrung zuteil werden zu lassen. Damit er für sich selber ein paar Dinge begreift und den Schlüssel für die Lösung des Falls findet. Er gerät in einen Zustand, in dem er manchmal selber nicht mehr weiß: Ist es Traum oder Wirklichkeit?

Weiß es der Zuschauer in jedem Augenblick?

Es handelt sich, zugegeben, um ein gewagtes Unterfangen, am Ende die Interpretation offen zu lassen. Wir gestatten es uns einmal, ins Mythische vorzudringen, ohne dabei ein bis ins Detail logisches Konstrukt zu schaffen. Aber genau das fand ich spannend, weil es dem Zuschauer Interpretationsspielraum lässt. Es geht um Liebe, um Gefühle, die weder im Leben noch im Film immer vollends zu erklären sind. In der Inszenierung habe ich mich deshalb auf die Stimmigkeit der emotionalen Aussage konzentriert. Das erschien mir bei diesem Film wichtiger als die reine Logik.

Was findet Borowski an der Frau so anziehend?

Sie ist im klassischen Sinn eine Femme fatale. Famke Oejen trägt die geheimnisvolle, raue Aura der fiktiven Insel Suunholt in sich. Gleichzeitig strahlt sie etwas Verführerisches und Sinnliches aus, ihr Streben nach Liebe ist feingeistig und sensibel. Hinter ihrer robusten Fassade kommt eine große innere Verletzlichkeit zum Vorschein. Dieser schöne Gegensatz macht viel von ihrer Anziehungskraft aus. Borowski, der sich fast immer im Griff hat, lässt sich für einen Moment bei ihr fallen. Es fasziniert ihn, wie kompromisslos sie über die Liebe spricht. Sie traut sich viel und schert sich nicht um die Konsequenzen. Der einsame Wolf trifft auf eine Wölfin. Das war das Bild, das ich im Kopf hatte.

Christiane Paul und Axel Milberg spielen groß auf.

Christiane Paul ist es großartig gelungen, die äußere Sprödheit ihrer Figur mit einer enormen Sinnlichkeit zu verbinden und eine Erotik herzustellen – nicht mit plumpen Mitteln, sondern mit Haltung. Wir sehen eine Frau, die uns fasziniert, und zwar durch das, was sie sagt und tut. Christiane hat sich bei der Arbeit nichts geschenkt und ihre Figur mit einer ungeheuren physischen Kraft ausgestattet. Sie ist eine tolle Schauspielerin, die für mich das Beste aus ihrer Figur herausgeholt hat. Und Axel Milberg lässt sich in seinem nuancenreichen Spiel immer etwas Überraschendes einfallen, was am Ende trotzdem stimmig und sinnvoll ist. Er schafft es, dass man seiner Figur sehr nah kommt, ohne sich mit gefühligem Spiel beim Zuschauer anzubiedern. Das macht seinen Borowski so besonders. Es war jedenfalls ein Vergnügen, mit diesem insgesamt großartigen Ensemble zu drehen.

Ihre Lust an der Komik haben Sie als "Tatort"-Regisseur offenbar nicht verloren.

Ich würde eher von der Lust an der Überhöhung sprechen. Wir haben es mit extremen Figuren zu tun, zum Bespiel mit einer fanatischen Kirchenfrau und ihrem stummen unehelichen Sohn, in dem das leibhaftige Böse zu lauern scheint. Die Herausforderung bestand für mich darin, diese Protagonisten in einen Kosmos zu setzen, der sich stimmig anfühlt. Wir bauen über 90 Minuten eine so dräuende Atmosphäre auf, da ist es wichtig, auch einzulösen, worauf man eingezahlt hat. Ich hätte es niedriger temperiert inszenieren können, aber in der Tat hatte ich Spaß daran, dem Film auch eine spektakuläre Dimension zu geben.

Die Naturaufnahmen sind spektakulär. Haben Sie mit Ihrem Kameramann Michael Schreitel ein visuelles Konzept entwickelt?

Wir sind mit der Idee angetreten, die Kamera sehr narrativ einzusetzen und die Bilder nicht zu klassisch aufzulösen. Außerdem haben wir versucht, so viel wie möglich mit natürlichem Licht zu arbeiten. Die Frage ist ja immer: Wie werden wir der Geschichte gerecht? Unser Anspruch war es, die Geschichte über die Bilder atmosphärisch aufzuladen, stringent und pointiert zu erzählen und den Zuschauer in eine Welt zu hineinzuziehen anstatt ihm Informationen aufs Auge zu drücken.

57 Bewertungen
Kommentare
Bewerten

Kommentare

Kommentar hinzufügen

Bitte beachten: Kommentare erscheinen nicht sofort, sondern werden innerhalb von 24 Stunden durch die Redaktion freigeschaltet. Es dürfen keine externen Links, Adressen oder Telefonnummern veröffentlicht werden. Bitte vermeiden Sie aus Datenschutzgründen, Ihre E-Mail-Adresse anzugeben. Fragen zu den Inhalten der Sendung, zur Mediathek oder Wiederholungsterminen richten Sie bitte direkt über das Kontaktformular an die ARD-Zuschauerredaktion: https://hilfe.ard.de/kontakt/. Vielen Dank!

*
*

* Pflichtfeld (bitte geben Sie aus Datenschutzgründen hier nicht Ihre Mailadresse oder Ähnliches ein)

Kommentar abschicken

Ihr Kommentar konnte aus technischen Gründen leider nicht entgegengenommen werden

Kommentar erfolgreich abgegeben. Dieser wird so bald wie möglich geprüft und danach veröffentlicht. Es gelten die Nutzungsbedingungen von DasErste.de.