Gespräch mit Mala Emde

Mala Emde als Julia Heidhäuser.
Mala Emde als Julia Heidhäuser.

Sie spielen ein Mädchen, das zum Islam konvertiert und nach Syrien gehen will. Wie haben Sie sich auf diese Rolle vorbereitet?

Ich habe Bücher über den Islam gelesen und im Internet so viele salafistische Seiten geöffnet, dass ich nach einiger Zeit gedacht habe: Wahrscheinlich werde ich jetzt vom Verfassungsschutz überwacht. In Berlin-Neukölln, wo ich lebe, habe ich auf der Straße meine muslimische Nachbarschaft einmal genauer betrachtet, um ein Gespür dafür zu bekommen, welche Rolle der Glaube in ihrem Alltag spielt. Beim Drehen hat uns dann ein Islam-Experte beraten. Mit ihm habe ich Beten geübt.

Sie haben zur Vorbereitung auch einen Vollschleier getragen ...

Zwei Tage vor Drehbeginn bin ich im Vollschleier mit Regisseur Raymond Ley und unserem Kameramann Philipp Kirsamer in Kiel mit versteckter Kamera unterwegs gewesen. Wir wollten schauen, was mit mir und mit den Leuten passiert. Deren Blicke waren oft verurteilend. Wir wurden beschimpft. Wie kann sich eine Frau nur in so etwas werfen und ihre Fraulichkeit verneinen? Im Grunde war es ein guter Einstieg in die Dreharbeiten.

Derzeit wird in Deutschland von einigen politischen Vertretern ein Burka-Verbot gefordert. Dabei wird oft damit argumentiert, dass man die Vollverschleierung als aggressives Signal empfindet und als Provokation des westlichen Lebensstils. Die Frauen, die sich einer Vollverschleierung mit Nikab und Burka "unterwerfen", werden bedauert für die Einschränkung ihrer Freiheit. Wie bewerten Sie das nach den Erfahrungen, die Sie während der Dreharbeiten gemacht haben?

Wir erzählen durch Julia einen individuellen Fall, und ich sehe die Schwierigkeit, von der Rolle eine pauschale Antwort auf die Frage zu finden. Aber natürlich hat die Geschichte meine Gedanken beeinflusst und ich stelle mir heute neue Fragen. Julia wird zu keiner Verschleierung gezwungen. Sie entscheidet sich freiwillig für die Umhüllung von Haupt und Körper. Aus den unterschiedlichen Reaktionen der Passanten auf unseren Versuch mit der versteckten Kamera lese ich, wie notwendig es ist, über Verschleierung zu diskutieren. Weil ich unsere westlichen Werte und Rechte zutiefst schätze, möchte ich die Möglichkeit einer Debatte nutzen! Wichtig dabei: Über was debattieren wir wirklich?

Wir haben die Aufgabe, die verschiedenen Verständnisse von Recht, Würde und Freiheit miteinander zu vereinbaren. Sind Verbote dabei die Lösung des Problems? Ich möchte mir nicht anmaßen, die Selbstbestimmung der Frauen, die sich vollständig verschleiern, generell in Frage zu stellen, auch wenn mir mancher Beweggrund womöglich befremdlich vorkommen wird (und in mir natürlich die Frage aufkommt, warum Frauen sich bedecken, Männer jedoch nicht). Innerhalb dieser Debatte finde ich es wichtig, dass wir uns darüber bewusst werden, wer hier über wen redet und entscheidet (Vorsicht vor paternalistischen Entscheidungen zum Freiheits-und Frauenrecht). Es handelt sich um ein komplexes Thema, bei dem es wichtig ist, nicht nur über die Frauen zu sprechen, sondern mit den Frauen, die sich verschleiern wollen. Wird eine Frau zur Verschleierung gezwungen, würde ein Verbot die Betroffene ins Private/Verbotene drängen, was dem übergeordneten Integrationswunsch am stärksten widersprechen würde. Die Opfer, nicht die Täter würden bestraft werden.

Die Figur Julia hätte ein Verbot nicht vor der Radikalisierung bewahrt, sondern steigert vielmehr ihre die Antipathie gegenüber ihrer Gesellschaft. Die Frage, die hier wirklich entscheidend ist: Warum ist dieses Mädchen so haltlos geworden?

Was treibt das Mädchen Julia in die Fänge des IS?

Das habe ich mich auch gefragt: Warum tut sie das? Es gibt dafür nicht die eine große Erklärung, sondern viele kleine Anhaltspunkte. Es ist eine Verkettung misslicher Umstände. Julias Vater stirbt bei einem Unfall. Die Schuld daran gibt sie ihrer Mutter, die der Trauer keinen Raum lässt. Das Leben soll einfach so weitergehen. Auch ihr Bruder wird mit dem Verlust nicht fertig. Bei ihm schlägt die Trauer in Aggressivität um, bei Julia in Verachtung, die sie auch für ihre alten Schulfreundinnen empfindet. Dann trifft sie in der islamischen Gemeinde auf den Imam, der sie in ihrem Hass auf die Welt bestärkt. Julia will die Welt besser machen und der Islam gibt ihr vor: Wir dürfen an eine bessere Welt glauben.

Was bringt sie dazu, sich vor den Augen ihrer Mutter eine Zigarette auf dem Arm auszudrücken?

Ich sehe darin einen Hilferuf. Siehst du, Mutter, wozu ich fähig bin. Es ist deine Entscheidung, dass ich mich selber verletze. Würdest du anders handeln, würde ich mir keine Schmerzen zufügen. Diese Szene stand nicht im Drehbuch. Raymond Ley schrieb sie erst ein paar Tage vor dem Dreh. Julias Unterarme waren laut Drehbuch mit Narben übersät, also dachten wir irgendwann, wir müssen auch zeigen, wie sie zu einigen ihrer Verletzungen gekommen ist.

Haben Sie manchmal gedacht, Mädchen, du bist klug und attraktiv, warum wirfst du dein Leben weg?

Ja, weil ich diese Figur sehr lieb gewonnen habe. Alle Figuren, die ich spiele, wachsen mir ans Herz. Ich habe einmal gelesen, dem Salafismus zu folgen ist wie ein Selbstmord, man lebt nur noch zum Schein, weil man sich als Person komplett aufgegeben hat. Unsere Geschichte zeigt, wie Julia in den Extremismus abrutscht. Sie hätte auch rechtsradikal oder drogenabhängig werden können. Es ist mir wichtig, dass wir Julia nicht verurteilen. Ich hätte sie gern geschüttelt und in den Arm genommen, nicht um ihr Vorwürfe zu machen, sondern um ihr zu zeigen, dass ich mich um sie sorge.

Sie verleihen der Figur eine enorme Willenskraft, die vieles erklärt. Gab es dafür ein Extralob der Kollegen?

Nein, so bleibt man konzentriert und kämpft bis zum Schluss dafür, dass der Film gut wird. Ich glaube, wenn man miteinander spielt und dabei spürt, dass sich das Spiel echt anfühlt, dann ist es die größte Bestätigung, die man als Schauspieler erfahren kann.

Für Ihre Hauptrolle im Doku-Drama "Meine Tochter Anne Frank" wurden Sie 2015 mit dem bayerischen Fernsehpreis als beste Nachwuchsschauspielerin ausgezeichnet. Hat die Ehrung Ihre Karriere beflügelt?

Seit dieser Rolle habe ich die Möglichkeit, Figuren wie Julia zu spielen. Ich bin wahnsinnig glücklich darüber, dass mir große Rollen wie diese zugetraut werden. Heute kommen Filmemacher auf mich zu und fragen, ob ich mir vorstellen könnte, in diesem oder jenem Projekt mitzuwirken. Das habe ich vor allem dem Film "Meine Tochter Anne Frank" zu verdanken.

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