Drei Fragen Dominic Raacke
(Hauptkommisar Till Ritter)
Eine Überwachungskamera im U-Bahnhof spielt in diesem Fall eine wichtige Rolle. In London beispielsweise sind knapp 4,5 Millionen Kameras in Straßen, Einkaufszentren und Bahnhöfen installiert. Wie stehen Sie dazu – hilft flächendeckende Überwachung in Großstädten bei der Verhinderung von Straftaten?
Auch in Berlin sieht man an jeder Ecke Überwachungskameras. Ich glaube nur nicht, dass Überwachungskameras Straftaten wirksam verhindern, also nicht unbedingt präventiv wirken. Gerade Überfälle in U-Bahnen oder auf öffentlichen Plätzen entstehen ja meist aus dem Affekt, da wird der Täter nicht drüber nachdenken, ob er nun gefilmt wird oder nicht. Aber natürlich gibt es Situationen, bei denen Videoüberwachung hilft, Täter zu überführen. Die Polizei wünscht sich mehr Möglichkeiten der Überwachung und vor allem der Datenspeicherung, Datenschützer hingegen warnen genau davor. Gerade im Moment wird das Thema Datenüberwachung, Speicherung und deren Auswertung heiß diskutiert. Es ist ja vor allem die Ungewissheit, was mit Daten passiert, welche die Sache bedenklich macht. Und da stellt sich dann plötzlich die Frage, ob mehr Datenspeicherung, die ja ursprünglich als Prävention gedacht war, Verbrechen einer ganz anderen Dimension erst ermöglicht.
Welche Szenen sind Ihnen rückblickend bei diesem "Tatort" am stärksten in Erinnerung geblieben?
Das Besondere an diesem "Tatort" ist für mich die Struktur der Geschichte, die mich von Anfang an fasziniert hat. Relativ schnell haben wir ja zwei dringend Tatverdächtige, aber die Frage bleibt, wer von beiden ist der Haupttäter? Die Aufklärung dieses Falls ist ein Puzzle, das sich aus der Analyse von Überwachungskameras, Handytelefonaten und verschiedensten Zeugenaussagen ergibt. Der Zuschauer kriegt die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Damit steckt er mitten im Fall und irgendwie auch mitten in den Köpfen der Ermittler. So wurde noch kein "Tatort" erzählt. Außerdem hatten wir diesmal ein ganzes Team, das die Puzzleteile dieses Falls akribisch zusammensammelt. Es war eine Herausforderung, in den Gruppenszenen eine Schnelligkeit und Konzentration herzustellen, die zu so einer Geschichte passt.
Viele Menschen schauen weg, wenn ein anderer bedroht wird und in Not gerät – aus Angst, selbst zum Opfer zu werden. Was zeichnet Menschen aus, die Zivilcourage zeigen und sich für andere einsetzen? Und ist so etwas wie "Bürgermut" erlernbar?
Da hat sich wirklich etwas verändert. Sich einzumischen ist keine Eigenschaft mehr, die in unserer Gesellschaft wirklich selbstverständlich und eingeübt ist. Das ist sicher der Liberalität geschuldet, die unser Miteinander in den letzten Jahrzehnten bestimmt hat. Man lässt den anderen sein, wie er ist. Wenn mich mein Vordermann im Kino nervt, setzte ich mich eher um, als dass ich ihn auffordere, aufzuhören mit seinem Nachbarn zu flüstern. Nervende Kinder in einem Restaurant erträgt man und hofft, dass sie von alleine aufhören, bevor man sie zurecht weist oder die Eltern bittet, sich darum zu kümmern. Wenn eine Gruppe Jugendlicher in der U-Bahn krakeelt, dann hat man sie zwar im Blick, mischt sich aber nicht ein. Das ist eine soziale Konfliktvermeidung, die es so vor Jahrzehnten noch nicht gab. Wenn es nun zu einer echten Gewaltsituation kommt, ist man plötzlich völlig hilflos, weil untrainiert, mit so einem Moment klar zu kommen. Hier ist Instinkt gefragt. Instinkt, die Situation richtig einzuschätzen und sich dementsprechend zu verhalten. Ob man diesen Instinkt erlernen kann? Schwer zu sagen. Sicher gibt es Menschen, die diesen Instinkt in sich tragen. Aber es gibt eben auch solche, die eingreifen, und durch ihr Verhalten Gewalt sogar erst richtig provozieren. Es ist schwierig, in einer Ausnahmesituation die richtige Entscheidung zu treffen, deshalb gibt es auf so eine Frage keine klare, einfache Antwort.
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