Gespräch mit Regisseurin Prof. Franziska Buch
Der "Tatort" thematisiert das Phänomen des nationalen Feminismus in der rechten Szene. Hat dieses Sujet bisher zu wenig Beachtung gefunden?
Mir war bewusst, dass es auch in der rechtsextremistischen Szene Frauen gibt. Doch als ich dann zur Vorbereitung auf den Film sehr ausführlich etwa über die Identitäre Bewegung recherchiert habe, ist mir erst klargeworden, wie viele rechte Frauen es tatsächlich gibt. Diese jungen Frauen werden geschickt als It-Girls der Bewegung positioniert. Sie nutzen sehr professionell die sozialen Medien, sind Bloggerinnen mit vielen Followern und befinden sich ganz vorne an der Front. Aber am Kopf der Hierarchie stehen immer Männer. Letzen Endes ist das eine völlig patriarchale Welt. Trotzdem ist die Rolle von Frauen in der rechten Szene elementar wichtig und bisher zu wenig beleuchtet worden.
Marie Jäger und ihre Mitstreiterinnen treten als "Töchter Europas" auf, die Frauen vor den Übergriffen von Migranten retten wollen. Macht die Verknüpfung von feministischen Parolen mit rassistischem Gedankengut die Bewegung so gefährlich?
Alles, was wir im "Tatort" erzählen, ist sehr genau recherchiert und spiegelt die Haltung der Bewegung wider. Diese Frauen beanspruchen für sich einen sogenannten "modernen Feminismus", der männliche Gewalt anprangert – aber diese Gewalt geht für die rechtsextremen Frauen nur von Migranten aus, die aus "barbarischen Kulturen" in unseren Kulturkreis eindringen und deutsche Frauen angeblich immer zum Objekt machen. Das ist rassistisch und entlarvt ihr völkisches Gedankengut, denn sie stellen die eigenen Männlichkeitsbilder und die sexuelle Gewalt, die auch von deutschen Männern ausgeht, nicht in Frage.
Hat der rechte Feminismus Frauen noch etwas anderes zu bieten als eine Bündelung der Ängste vor Migranten?
Die rechten Feministinnen wollen den "alten" Feminismus ablösen. Sie propagieren eine neue Weiblichkeit und werfen den Feministinnen der ersten Stunde vor, die Unterschiede zwischen Männer und Frauen zu negieren, die Männer gesellschaftlich und emotional kastrieren zu wollen. Sie arbeiten sehr stark Themen auf, die Frauen tatsächlich beschäftigen. Etwa: Wie gelingt der Spagat zwischen Kindern und Karriere? Dabei stellen sie die Behauptung auf, dass Mutterschaft gesellschaftlich abgewertet und vom Staat nicht mehr belohnt wird. Sie kämpfen für ein rigides Abtreibungsverbot. Es ist eine Bewegung, die eigentlich die alten Verhältnisse zwischen Männern und Frauen wiederherstellen will, und die Schlussfolgerung der identitären "Feministinnen" lautet immer: Da Frauen Karriere machen, werden so wenig deutsche Kinder geboren, deswegen wird in naher Zukunft der Islam die "deutsche Urbevölkerung" verdrängen, weil die Einwanderer mit ihrem "aggressiven Fortpflanzungsverhalten" alle so viele Kinder bekommen. Das ist die perfide Mär vom großen Bevölkerungsaustausch.
In "National Feminin" haben Sie die jungen Frauen aus der rechten Szene, vor allem Marie Jäger, wie "Fridays for Future"-Aktivistinnen inszeniert …
Viele der jungen Frauen sehen tatsächlich aus wie "Fridays for Future"-Aktivistinnen. Sie tragen Doc Martens Stiefel und Parkas zu ihren Blümchenkleidern und haben eine sehr moderne Attitüde. Auf den ersten Blick wirken sie harmlos, und das macht es so perfide. Sie transportieren ihre Botschaften eben eleganter, intelligenter und raffinierter als dumpfe Neonazis. Aber die Gesinnung bleibt sich gleich. Wie die jungen rechtsextremen Männer im Film sind auch diese Frauen intellektuell versiert und gut ausgebildet. Ihre Bewegung ist eine funktionierende PR-Maschinerie, sie sind gut vernetzt und schauen sich ihre Aktionen bei Greenpeace oder den Flashmob-Bewegungen ab. Das kommt alles sehr modern, peppig und richtig gut verpackt daher. Das hat mich bei meiner Recherche wirklich schockiert. Denn sie sind nicht einfach Kritikerinnen und Kritiker unserer gesellschaftlichen Ordnung. Sie betreiben den Umsturz unserer Demokratie hin zu einem faschistischen System. Zahlreiche Köpfe der Identitären Bewegung haben einen Neonazi-Hintergrund.
Welche Rolle spielt Sophie Behrens, die Professorin für Rechtswissenschaften, die Bundesverfassungsrichterin werden soll?
Die Figur war mir sehr wichtig, weil ich als Regisseurin keine einfachen Schwarz-Weiß-Bilder zeichnen wollte. Mich interessieren immer die Abgründe von Figuren. Sophie Behrens ist eine sehr moderne, aber auch sehr provozierende Frau. Sie lebt in einer lesbischen Partnerschaft, ist aber auch klar rechts außen verankert, eine Feministin, die feministische Haltungen zur Abtreibung oder jede Quotenregelung in Frage stellt, weil sie juristische Bedenken hat. Man weiß nicht, ist sie eine Gefahr, wenn sie Verfassungsrichterin wird, oder ist sie ist eine Verteidigerin der Gedankenfreiheit, wie sie selbst behauptet? Diese Ambivalenzen interessieren mich, denn für mich als Regisseurin ist es eine erzählerische Verpflichtung, Menschen, die – warum auch immer – auf der Schattenseite unserer Gesellschaft stehen, mit Empathie zu begegnen, statt sie einfach als Monster abzuhaken. Auch dann, wenn es junge Rechtsradikale sind. Auch dann, wenn ich ihre Gesinnung verachte.
Anaïs Schmitz ermittelt als schwarze Kommissarin im rechtsextremen Milieu. Wie sind Sie als Regisseurin damit umgegangen?
Wenn eine schwarze Kommissarin im rechtsextremen Milieu ermittelt, bekommt das Thema Rassismus automatisch eine andere Virulenz. Das Thema geht Anaïs Schmitz an, es ist demütigend und verletzend, aber Florence Kasumba war es wichtig, ihrer Figur Haltung und Souveränität zu geben. Diese Form von Self-Empowerment zu zeigen und damit zu sagen: Ich bin kein Opfer, ich stehe für mich ein – das war uns allen wichtig.
Sind die beiden Kommissarinnen mehr denn je aufeinander angewiesen, weil sie einem bedrohlichen Shitstorm im Netz ausgesetzt sind?
Absolut. Die immer hemmungslosere Verbreitung von Hass und Lügen im Internet ist für mich eines der virulentesten Probleme unserer Gesellschaft. Das ist der Bodensatz für Gewalt, die unsere Demokratie bedroht. In "National Feminin" ist das wie eine Lawine. Bis hin zu einem massiven Gewaltaufruf gegen das Leben der Kommissarinnen. Es ist zu einem Bestandteil deutscher Realität geworden, dass Politikerinnen und Politiker oder Journalistinnen und Journalisten, dass Menschen, die sich kritisch über diese Szene, die rechte Bewegung oder die AfD äußern, inzwischen bedroht, Gewalt ausgesetzt oder gar hingerichtet werden, wie man im Mordfall Lübcke sieht. Diese fortschreitende Verrohung unserer Gesellschaft finde ich unglaublich erschreckend.
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