Gespräch mit Wotan Wilke Möhring

Wotan Wilke Moehring
Wotan Wilke Moehring | Bild: dpa

In "Die Feigheit des Löwen" sehen die Ermittler sich einem ungewöhnlichen Mord an einem bislang unbescholtenen Deutsch-Syrer gegenüber. Was zeichnet diese Geschichte in Ihren Augen aus?

Die Art, wie sich hier große politische Weltbühne und familiäres Drama vermischen, macht diesen Fall zu etwas Besonderem. Wir sehen Figuren, die fernab ihrer syrischen Heimat in den Sog des Bürgerkriegs geraten, und wir blicken in menschliche, familiäre Abgründe. Hier ist also einerseits die menschlich-dramatische Komponente abgedeckt und andererseits rücken Konflikte in den Blick, die aus der großen politischen Welt nicht mehr wegzudenken sind und die uns nur scheinbar wenig angehen. Das fand ich das Spannende an dem Buch.

Die Bundespolizisten werden hautnah mit dem Flüchtlingsdrama einer syrischen Mutter konfrontiert. Falke entwickelt ein besonderes Verhältnis zu ihrem Sohn Ali. Berichten Sie uns von der Entstehung dieser Szenen.

Es ist ja so, dass wir als Bundespolizisten immer über die organisierte Kriminalität, also in diesem Fall über das Schleusertum, in die Fälle reinkommen. Wir kommen bei den großen Geschichten auf die Bühne, die die Bundespolizei auf den Plan rufen, aber die einzelnen menschlichen Schicksale, die dahinterstehen, lassen uns natürlich nicht unberührt. Ali hat Schreckliches durchgemacht; er hat stundenlang neben seiner toten Schwester ausgeharrt. In dieser Situation kann es Falke nicht darum gehen, ihm in erster Linie Fragen zu stellen, um über ihn an die Wahrheit heranzukommen. Er muss vielmehr dafür sorgen, dass dieser kleine Mensch nicht an dieser Erfahrung zerbricht. Deshalb versucht Falke erst einmal, das Eis zu brechen. Wir haben uns all diese Dinge – den Ball, die Milch und das Brot – ausgedacht, weil sie es ermöglichen, eine Nähe zu jemandem herzustellen, der die Sprache vielleicht nicht so gut spricht und der verschreckt und verängstigt ist. Wie ginge so etwas besser als mit einem Ball? Ein Mensch und Ball, ein Kind und ein Ball, das verbindet immer (lacht). Das waren gute Situationen. Ich verstehe mich immer gut mit Kindern. Ich mag Kinder, weil sie oft schlauer sind als viele Erwachsene und herzlicher und direkter. So war es auch hier, wir hatten ein herzliches Verhältnis.

Falke und Lorenz gehen inzwischen spielerisch und humorvoll mit ihrer großen Unterschiedlichkeit um. Spiegelt sich darin das Zusammenwachsen des Teams wider?

Es gehört ja zu unserem Konzept, dass wir immer auch erzählen wollen, was die einzelnen Fälle mit den Ermittlern anrichten, wie sie darauf reagieren. Und die beiden gehen natürlich jeweils auf ihre Art mit den Erlebnissen im Ermittleralltag um. Sie lassen die einzelnen Situationen unterschiedlich nah an sich heran und erleben sie einfach unterschiedlich, aber sie tauschen sich immer über die Fälle aus und werden sich so allmählich auch vertrauter. Diesen Strang wollen wir natürlich sukzessive weiterentwickeln; ebenso wie es ja auch zwischen Petra Schmidt-Schaller und mir einfach dadurch eine Entwicklung gibt, dass wir viele Drehtage zusammen verbringen und uns dabei immer besser kennenlernen.

Bolustod, Pomologie – Thorsten Falke stellt hier durch Bildungslücken seine einfache Herkunft unter Beweis. Die "Billstedter Milch" ist dagegen etwas, was die schlaue Kollegin Lorenz nicht kennt. Gibt es diesen Drink wirklich?

Nein, den gibt es nicht. Den hab ich mir ausgedacht. Falke und Lorenz sind von der ganzen Situation sehr mitgenommen und wollen einfach etwas zusammen trinken. Weil wir sie aber nicht einfach so Schnaps trinken lassen wollten, sondern nach etwas Charmanterem gesucht haben, kam diese Idee zustande. Die Billstedter Milch ist allerdings auch etwas, was es tatsächlich geben könnte. Ich fand das schön, weil es ihn an die Heimat erinnert; darüber hinaus erzählt es, wo er herkommt. Und es zeigt wieder einmal seine Vorliebe für Milch.

Dieses Mixgetränk entfaltet, wie wir sehen, geradezu die Wirkung eines Liebestranks ...

... weil die beiden im selben Hotelzimmer landen. Ja, auf der einen Seite schon, aber dass die beiden sich hier näherkommen, hat noch andere Gründe. Es ist wie so oft im Leben: Auf der einen Seite sehen wir das Drama, dieses tote Kind zum Beispiel. Auf der anderen Seite gibt es aber auch den berechtigten Schrei nach Leben, nach Lebendigkeit und nach Gefühlen, und so passiert es, dass die Ermittler die Nähe des jeweils anderen suchen; sie halten sich aneinander fest. Das fand ich einen tollen Einfall.

Am nächsten Morgen ist von dieser Nähe jedoch nicht mehr viel zu spüren. Der Zauber scheint verflogen, Lorenz gibt sich wieder ganz professionell. Falke wirkt etwas irritiert. Was treibt ihn um?

Wir wissen ja gar nicht, ob in dieser Nacht was passiert ist. Das weiß der Zuschauer nicht, und Falke auch nicht. Aber er will es die ganze Zeit herausfinden: Ist was vorgefallen zwischen uns? Diese Frage beschäftigt ihn. Katharina Lorenz ist ihm gegenüber ja auch nicht direkt abweisend; sie lässt sich nur nicht in die Karten gucken. Ich glaube, sie spielt damit, dass er nicht weiß, ob was passiert ist. Möglicherweise erinnert sie sich aber auch selbst nicht und tut nur so, als wüsste sie mehr als er über diese Nacht. Wer weiß? Vielleicht ist es ja auch bei dem Kuss geblieben. (lacht)

"Die Feigheit des Löwen" war Ihre zweite Arbeit mit dem jungen Marvin Kren und die erste mit Navid Negabhan. Wie waren die Dreharbeiten?

Marvin ist einfach ein toller Regisseur. Wir haben menschlich sehr schnell zusammengefunden, und es ist natürlich toll, wenn man die Dinge auf dieselbe Art wahrnimmt und ihnen mit derselben Energie begegnet. Das ist eine wirkliche Bereicherung. Und bei so einem Format mal jemanden wie Navid dabeizuhaben, der aus der amerikanischen Filmindustrie kommt, war natürlich spannend. Das macht den Atem noch größer und breiter. Aber am Schluss ist es egal, woher man kommt und wie groß die Budgets sind, die man kennt. Wir haben alle mit derselben Intensität an diesem Projekt gearbeitet. Letzten Endes sind es immer eine Kamera, ein Schauspieler, sein Gegenüber und ein Regisseur, und das war es. Aber es hat sehr viel Spaß gemacht, Navid kennenzulernen und mit ihm zu arbeiten. Er hat einen guten Humor.

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