Gespräch mit der Regisseurin Franziska Schlotterer
Beim Erben geht es meist nur äußerlich um Materielles, brisant wird es durch die tiefen Gefühle, die damit verbunden sind. Was hat Sie am Erbfall der Familie Klingler interessiert, worauf kam es Ihnen bei der Realisierung besonders an?
Ich finde das Thema Erben spannend, weil es viele von uns auf die ein oder andere Weise betrifft und Konflikte zu Tage fördert, die zu Lebzeiten vielleicht nicht ganz offen ausgefochten wurden. Da mein Vater früh verstorben ist, war ich selbst schon als Jugendliche damit konfrontiert. Ich, Scheidungskind und noch nicht mündig, musste zusehen, wie sich die Erwachsenen um das Erbe gestritten haben. Das war eine sehr irritierende Erfahrung, da sich alle Beteiligten von einer Seite gezeigt haben, die ich vorher nicht kannte. Dies hat vielleicht dazu beigetragen, dass mir bei der Inszenierung der Klingler-Erben die Figurenzeichnung besonders wichtig war. Ich wollte die Motivation aller Figuren verstehen, auch von denen, die wir nicht so sympathisch finden. Bei dem Erbfall der Industriellen-Familie geht es neben dem materiellen Erbe auch um die Verantwortung, die man erbt und die Frage, wie man mit dieser Verantwortung umgeht. Diese Fragestellung finde ich historisch und gesellschaftspolitisch sehr relevant und interessant.
Und was bedeutete das für die Ästhetik des Films?
Schon als ich das erste Exposé von Patrick Brunken zum "Tatort – Was wir erben" gelesen habe, musste ich an die Filme von Claude Chabrol denken. Viele seiner Krimis spielen in großen herrschaftlichen Villen und entlarven ihre bourgeoisen Besitzer als kultivierte Scheusale. Diese Filme waren eine Inspiration für mich und haben sicherlich unterschwellig die Ästhetik des Films, den Rhythmus, das Sounddesign und die Musik beeinflusst.
Ist es von besonderer Bedeutung, dass gerade das Haus im Mittelpunkt des Streits steht?
Wir verbringen viel Zeit mit der Familie im Haus. Es ist sozusagen das Zentrum der Familie, der Stammsitz, die Schaltzentrale. Hier wurde Familiengeschichte gelebt. Jedes Familienmitglied hat seine Erinnerungen an das Haus. Hier wurden die Rollen verteilt, und wenn man als Erwachsener zurückkommt, kann man diese immer noch nicht abstreifen, auch wenn man längst außerhalb der Familie jemand anderes geworden ist.
Das Haus kann man gut visualisieren und auch auf der akustischen Ebene erzählen. Die Villa hat ihren eigenen Sound. Der Kies draußen um das Haus war für mich eins der wichtigsten Elemente, um das Gefühl für dieses herrschaftliche Haus greifbar zu machen. Aber auch der knarrende Parkettboden oder das Rauschen der Bäume im Garten. Über solche Details erinnern wir später die Orte unserer Kindheit. Wenn ich an das Haus meiner Großmutter denke, sehe ich die Schwingtür aus Holz und Glas, die zur Küche führte, höre das Zwitschern der Vögel im Garten, die im Vogelbassin herumflattern und fühle den abgewetzten Bezug der alten Cordsessel im Arbeitszimmer. Dieses Gefühl für einen vertrauten Ort der Kindheit habe ich versucht in dem Film zu vermitteln.
So unterschiedlich und auch hart die Reaktionen der Familienmitglieder sind, immer wieder spürt man auch ihre Verbundenheit. Wie hat denn das Wissen um das Erbe das Verhältnis der Familienmitglieder zueinander beeinflusst? Und wie hat das Ihre Besetzung und Inszenierung beeinflusst?
Ich fand es sehr reizvoll, das Thema Familie und Geschwisterrivalität in diesem Tatort zu beleuchten. Der Drehbuchautor Patrick Brunken hat das bei den Figuren im Drehbuch sehr schön gezeichnet. Man liebt und hasst sich. Man kennt sich in- und auswendig und ist sich doch fremd. Man sucht die Nähe der anderen und geht sich gleichzeitig auf die Nerven. Bei Industriellen-Familienclans wie den Klinglers in unserem Film spielt das Erbe und die Firma, denke ich, von früh an immer eine Rolle. Es ist das, was diese Familien zusammenhält und definiert. Gleichzeitig besteht immer die Gefahr, sich darüber zu zerstreiten und so das Überleben des Familienunternehmens und des gemeinsamen Wohlstands zu riskieren. Dieser potentielle Streit geht ja nicht erst beim Erben los, sondern schon bei der Frage, wem die Eltern zutrauen das Unternehmen weiterzuführen. Die anderen Geschwister müssen dann einen anderen Weg finden, um sich zu beweisen und ihrem Leben einen Sinn zu geben. Diese Fragestellungen habe ich versucht mit Jenny Schily, Jan Messutat und Johanna Polley herauszuarbeiten und ihr Spiel damit zu hinterlegen. Das hat uns allen großen Spaß bereitet und wir konnten viel aus unserem eigenen Erfahrungsschatz schöpfen. Bei der Besetzung war es mir wichtig, ein glaubhaftes Geschwisterpaar zu finden. Hierbei war es hilfreich, dass Jenny Schily und Jan Messutat eine ähnliche Körperlichkeit haben. Johanna Polley ist ein ganz anderer Typ. Die Toni in unserem Film fühlt sich wie ein Außenseiter in dieser Familie und das manifestiert sich auch in ihrem Aussehen.
In Ihrem Film geht es nicht nur um die Perspektive der Erben, sondern auch um die Motive der Erblasserin; im Laufe der Ermittlungen stellt sich heraus, dass sie mit ihrem Besitz ein spezielles Ziel erreichen wollte. Stellt sich mit dieser Wiedergutmachungsabsicht auch die Frage nach der Verantwortung von Vermögenden?
Diese Fragestellung lag unserem Autor sehr am Herzen. Er hat dazu viel recherchiert und die Gerechtigkeit des deutschen Erbrechts grundsätzlich in Frage gestellt. Denn Fakt ist, dass durch das Prinzip des Vererbens die Reichen einer Gesellschaft reich bleiben und die Armen arm. Die Vermögen, die durch Erbe entstehen, sind durch normale Lohnarbeit gar nicht zu erreichen. So wird die Gesellschaft immer weiter gespalten.
Franziska Tobler und Friedemann Berg werden in den Familienkonflikt hineingezogen, kann man sagen, dass Gesine Rathmann versucht sie zu instrumentalisieren? Und welche Haltung entwickeln die beiden zu der Frage des Erbens?
Für Gesine Rathmann ist die Lage klar. Ihre Mutter hat sich von einer Erbschleicherin manipulieren lassen. Das Erbe der Mutter kann nur den nächsten Verwandten zustehen. Ganz im Sinne der Familie und der Firma. Die steht für sie noch vor der Familie an erster Stelle. Sie trägt die Verantwortung dafür. Aus dieser Überzeugung heraus versucht Gesine, Tobler und Berg zu manipulieren. Sie möchte sicher gehen, dass die beiden ihre Sicht der Dinge übernehmen. Sie fühlt sich zunächst auch hundertprozentig im Recht. Sie ist eine Überzeugungstäterin. Sie hat nicht gelernt zu zweifeln. Im Englischen gibt es ein tolles Wort dafür: Entitlement.
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