Gespräch mit Uwe Wicha

Uwe Wicha ist Leiter einer Fachklinik für Drogenrehabilitation. Bei fast allen Patienten ist Crystal Meth zur Hauptdroge geworden. Neben einer Regeltherapie von sechs Monaten sieht das Therapiekonzept weitere drei Monate vor, in denen begleitende Qualifikationsmaßnahmen stattfinden, die den Patienten einen Neustart in ein drogenfreies Leben erleichtern sollen.

Horrordroge Crystal Meth
Horrordroge Crystal Meth

»Crystal Meth zu konsumieren ist russisches Roulette.«

Wie authentisch hat "Borowski und der Himmel über Kiel" das Thema Crystal Meth behandelt?

Der Autor Rolf Basedow hatte uns für seine Recherchen besucht, um Interviews mit mir und den Klienten der Alten Flugschule zu führen. Diese Informationen hat er sehr authentisch und wahrhaftig verarbeitet und umgesetzt. Im Grunde habe ich alle Aspekte in dem Film wieder gefunden, die ich aus der Auseinandersetzung und den Erzählungen mit unseren Klienten kenne.

Ziel des "Tatorts" ist nicht, Crystal-Meth-User zu bekehren, sondern Zuschauern eine Problematik nahezubringen, von der sie im Zweifel bisher nur entfernt gehört haben. Kann man dies so machen?

Absolut, und es ist auch sehr gut gelungen. Der "Tatort" zeigt, warum Menschen überhaupt Crystal Meth konsumieren und wie sie dazu kommen. Die hier dargestellte Anfangsmotivation ist überaus typisch: Man lernt Leute kennen, die bereits mit Drogen zu tun haben, und man macht einfach mit. Auch die daraus entstehende Dynamik ist wirklichkeitsnah dargestellt. Zuerst wird Crystal Meth genommen, um die Dinge, die man macht und erlebt, intensiver wahrzunehmen. Wenn die Sucht den User voll im Griff hat, ist die ursprüngliche Motivation für den Gebrauch längst in den Hintergrund getreten, denn bei einer Sucht geht es nur noch darum, sie zu befriedigen.

Was ist der Reiz daran, Crystal Meth zu konsumieren?

Ich kann das nur aus der Perspektive unserer Klinik darstellen, denn es gibt sehr viele Gedanken und Erklärungsmodelle dazu. Was die Menschen betrifft, die bei uns Unterstützung suchen, kann man die Hauptmotivation in einem Satz zusammenfassen: "Ich möchte, dass die Party nie aufhört." Es geht um den hedonistischen Wunsch, mehr Intensität beim Erleben zu haben. Sei es beim Party machen oder beim Sex. In den Medien ist auch immer davon die Rede, dass Crystal Meth genommen wird, weil es die Leistung steigert und Menschen damit dem Leistungsdruck begegnen. Unter unseren vielen Patienten gab es keinen einzigen, der dies als Anfangsmotivation nannte. Das ist nur ein nachgeschobener Grund. Der Einstieg erfolgte immer im Zusammenhang mit Party, denn mit Crystal kann man das Wochenende durchmachen. Der Grund Leistungssteigerung hat u. a. mit der Toleranzerweiterung von Drogen zu tun – und zwar mit jeder, auch Alkohol. Da sich der Körper an die Droge gewöhnt, muss die Dosis gesteigert werden, um den gleichen Effekt zu erhalten. Hinzu kommt, dass Abhängige Drogen auch nehmen, um die depressive Phase nach dem Abklingen der Wirkung zu überwinden. Dann merkt der User irgendwann auch, dass ihm die Droge auch über die Woche hilft. So kommt Crystal wieder ins Spiel, um die Normalität aufrechterhalten zu können.

Wer ist gefährdet?

Crystal Meth ist ein Phänomen der Jugendkultur. In bürgerlichen Schichten findet man es eigentlich nicht. Es gibt natürlich auch Ausreißer. Insofern ist der Fall des Bundestagsabgeordneten, der Crystal genommen hat, untypisch. Daher fand ich den "Tatort“ auch so gut, weil er sein Augenmerk auf die größte Gruppe legt, die durch Crystal Meth am gefährdetsten ist. Wir erleben bei Crystal einen sehr frühen Einstieg. In unserem Hause haben wir viele Klienten, die mit 11, 12, 13 erste Erfahrungen mit Alkohol und Cannabis gemacht haben und dann mit 14, 15 auf Crystal Meth umgestiegen sind. Das ist das eigentliche Thema, das Beachtung benötigt. Denn wer in so jungem Alter so heftig mit Drogen hantiert, hat mit Mitte 20, wenn er wieder clean werden will, kein Rüstzeug, um ein normales Leben führen zu können.

Was bewirkt Crystal Meth kurz-, mittel- und langfristig?

Kurzfristig enthebt Crystal Meth von allen menschlichen Bedürfnissen wie Schlaf, Hunger und Durst. Man ist vollkommen energetisch. Hinzu kommt eine euphorisierende Wirkung, mit der man sich als Weltmeister fühlt. Es hat Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein und die Eigenwahrnehmung. Man kann plötzlich tanzen wie Nurejev. Das ist ein durchaus nachvollziehbarer, erstrebenswerter Zustand. Diese Glücksverheißung wird gesucht. Insbesondere für zu einem geringen Preis und Aufwand. Bei Drogen wird der Preis später gezahlt. In der mittleren Phase schleicht sich die Suchtdynamik in den Alltag. Das "Craving", also das unstillbare Verlangen nach dem Kick, beginnt. Aber es gibt noch einen Effekt. In der dritten Phase geht es nicht mehr um den Effekt, sondern darum, die Entzugssymptome nicht mehr spüren zu müssen.

Was bewirkt Crystal Meth toxikologisch? Es wird ja auch gesagt, dass Crystal vom ersten Konsum an das Gehirn irreparabel angreift.

Crystal Meth zu konsumieren ist russisches Roulette. Man kann durch Crystal Meth Psychosen entwickeln. Man glaubt, man wird abgehört, verfolgt oder die Leute um einen herum reden über einen. Wann das einsetzt, kann man nicht sagen. Es kann auch gar nicht passieren. Dann vermindern sich die Gehirnleistungen. Darüber wissen wir allerdings noch zu wenig. Es gibt jedoch Menschen, die sich nicht mehr konzentrieren können. Deren Aufmerksamkeits- und Denkfähigkeit sinkt. Auch das muss nicht zwangsläufig bei jedem eintreten.

Können Schäden, die durch Crystal Meth entstehen, rückgängig gemacht werden?

Es gibt Klienten mit hirnorganischen Veränderungen. Das ist irreparabel. User mit drogeninduzierten Psychosen werden sie unter Umständen nie wieder los. Bei anderen hingegen klingen sie nach Absetzung der Droge wieder ab.

Die Rückfallquote von ehemaligen Crystal-Meth-Usern liegt bei 90 Prozent. Das hört sich hoffnungslos an.

Es gibt keine objektiven Zahlen dazu. Die Droge lebt in der öffentlichen Wahrnehmung dadurch, dass in den Medien Horrorszenarien gemalt werden. Man bekommt den Eindruck, dass Heroin im Verhältnis dazu harmlos genug ist, dass man es bei Kindergeburtstagen anbieten kann. Es gibt Befragungen von Suchtklienten nach dem Rückfall. Die sind aber nicht nach der Art der Droge aufgeschlüsselt. Danach sind zwischen 40 und 50 Prozent nach einem Jahr noch clean.

Gibt es analog zu funktionierenden Alkoholikern auch funktionierende Crystal-Meth-User?

Es ist bei allen Drogen so, dass Normalität in dem Kontext, in dem man sich bewegt – Arbeit, Familie, Freunde – für eine Zeit lang mit Abstrichen aufrechterhalten werden kann. Bei Crystal ist das aber kein langer Zeitraum.

Welche Präventionsmöglichkeiten gibt es?

Ganz wichtig ist, damit aufzuhören, die Droge zu mystifizieren und den Leuten zu erzählen, dass sie leistungssteigernd ist. Das ist sie nur in dem Sinne, dass man mehr Energie zur Verfügung hat. Aber auf Crystal kann man sie nicht effektiv, sinnvoll und effizient einsetzen. Unter ihrem Einfluss gelingt keine Aufgabe besser. Man glaubt es nur. Eine Klientin von uns hat in einem großen Hotel als Zimmermädchen angefangen. Sie war auf Crystal, voller Energie und hochmotiviert. Sie hat acht Stunden ohne Pause geputzt wie eine Weltmeisterin – glaubte sie. Denn in Wirklichkeit hat sie sich in einem Zimmer fest geputzt und den ganzen Tag nichts anderes gemacht als dieses Zimmer zu reinigen. Überhaupt sind sinnentleerte Tätigkeiten wie Putzen oder Sortiertätigkeiten am Computer bei Crystal-Usern sehr beliebt. Sie glauben, eine echte Leistung zu bringen. Aber mit Akribie die Windows-Symbole auf dem Desktop zu ordnen ist nicht produktiv. Am Anfang kann man die Leistungssteigerung noch objektiv einsetzen, aber das ist ganz schnell nicht mehr möglich und führt dann zu absurden Handlungen.

Was können Eltern tun?

Man muss den Blick der Eltern schärfen, damit sie erkennen, was passiert. In dem Zusammenhang muss man sich auch die Frage stellen, wie die Kinder Alkohol, Cannabis oder Crystal Meth konsumieren können. Oft fehlen den Eltern die Kenntnisse über Drogensymptome und sie wissen auch nicht, worauf zu achten ist. Und wenn sie es bemerkten, sind sie nicht in der Lage, die Situation zu ändern und den Konsum zu unterbinden. Dann sollten sie sich an eine Suchtberatungsstelle wenden. Die helfen Angehörigen weiter.

Gibt es noch andere Mittel?

Ja. Das wird aber nicht gerne gehört: Es sind Repressionen. Man muss weiter daran arbeiten, dass Drogen nicht verfügbar sind. Offensichtlich helfen hier polizeiliche Kontrollen und Verfolgung. Es gibt zwei Beispiele, wie wir in unserer Gesellschaft mit legalen Drogen umgehen: Alkohol etwa ist immer, leicht und billig zu bekommen. Das führt dazu, dass diese Droge weit verbreitet ist. In Deutschland ist jedes dritte Krankenhausbett von einem Patienten belegt, der dort aufgrund fortgesetzten Alkoholmissbrauchs liegt. Das könnte man über den Preis und eingeschränkte Verfügbarkeit ändern. So wie man es beim Nikotin macht. Zigaretten sind extrem teuer, man bekommt sie nur mit Altersnachweis und Rauchen in der Öffentlichkeit wird immer weiter eingeschränkt. Da hat sich die Politik für den umgekehrten Weg entschieden. Wer raucht, gibt unter Umständen 10 bis 15 Prozent seines frei verfügbaren Einkommens für Nikotinkonsum aus. Dafür kann man auch ein Auto leasen. Also entscheiden sich viele Jüngere gegen Zigaretten.

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