Menschenschmuggel, Mord, Terror, dazu eine Einführung
Gespräch mit Regisseur Özgür Yildirim
Sie haben 2013 den ersten Fall mit Kommissar Falke gedreht. Wie hat er sich über die Jahre verändert?
In der letzten Folge "Verbrannt" haderte er noch mit sich und seiner impulsiven Art. Diesen inneren Konflikt hat er überwunden. Wir erleben wieder den lockeren Falke aus seinem Debüt "Feuerteufel". Als ich das Treatment zu seinem neuen Fall gelesen habe, dachte ich: Moment mal, diese Figur habe ich doch damals mitentwickelt. Genau so kenne ich Falke.
Was zeichnete ihn schon damals aus?
Das wichtigste Element war ein leicht chauvinistischer Humor. Seinen Sarkasmus bekam besonders seine Partnerin Lorenz zu spüren. Diesmal verhält Falke sich sehr zugänglich und fordert sie mit lockeren Sprüchen heraus. Doch Grosz hat keine Lust auf ihn, und sie hält ihn auch nicht für sonderlich lustig. Die Konstellation zwischen den beiden Ermittlern ist wahnsinnig spannend.
Menschenschmuggel, Mord, Terror, dazu die Einführung einer neuen Ermittlerin – das ist viel Stoff für 88 Minuten.
An der Geschichte finde ich zunächst einmal interessant, dass sie die Erzählstruktur des klassischen Whodunit- Krimis aufbricht. Die gängige "Tatort"-Fragelautet ja: Wer ist der Mörder? Dann wird solange ermittelt, bis der Täter überführt ist. Hier geht es darum: Was plant der ins Land geschleuste Terrorist? Wird er sein Ziel erreichen? Wie schaffen es die Ermittler, einen Anschlag zu verhindern. Es war schwierig, alle Aspekte unter einen Hut zu bringen. Die große Herausforderung bestand einerseits darin, das komplexe Thema Terrorismus in der richtigen Dosis in den "Tatort" einzubauen, ohne in die Klischeefalle zu tappen. Und andererseits die neue Ermittlerin Grosz möglichst spannend einzuführen, ohne die Geschichte in sich als Ganzes zu überfrachten.
Was besagt denn das Klischee?
Dass alle Terroristen Monster sind. Dagegen haben wir versucht, eine gewisse Empathie für einen jungen Mann zu entwickeln, der in Deutschland aufgewachsen und zum Islamisten geworden ist. Wir wollten erzählen, was ihn in die Fänge des Islamischen Staates getrieben hat. Warum hat er in Syrien gekämpft, obwohl seine Familie hier voll integriert ist? Sein Vater betreibt eine Werkstatt, seine Schwester arbeitet im Krankenhaus. Darum geht es: Unser Islamist ist kein Dämon, sondern ein Mensch mit einer Familie im Hintergrund, die ihn liebt, aber seinen Hass nicht versteht. Man kann Parallelen zwischen islamistischen und anderen Gruppen sogar der extremen Rechten feststellen. Es läuft fast immer darauf hinaus, dass es ihren Mitgliedern nicht gelungen ist, sich in der Gesellschaft zu integrieren.
Ist es ein großes Abenteuer, einen Film auf einem Flughafen zu drehen?
Das Projekt war logistisch enorm aufwendig. Wir brauchten viele Komparsen, damit die Szenen auf dem Flughafen authentisch wirkten. In Sicherheitsbereichen durften wir nur unter strengen Auflagen drehen. Wir standen in Hannover noch vor einem anderen Problem. Meine Filme, die alle gemeinsam mit meinem Kameramann Matthias Bolliger entstehen, verfolgen immer auch einen eigenen ästhetischen Ansatz. Wir erfinden uns jedes Mal ein bisschen neu, obwohl wir inzwischen eine unverkennbare Handschrift gefunden haben. Und wir kennen unsere Ansprüche. Auf dem Flughafen Hannover wurden wir hart mit der Realität konfrontiert und mussten feststellen, dass der Schauplatz ästhetisch nicht viel hergibt. Aber unsere Ansprechpartner dort waren sehr kooperativ. Wir haben dann ein Farbkonzept entwickelt und die wichtigsten Schauplätze in ein ungewöhnliches grüngraues oder grüngelbes Licht getaucht. Diese Farben ziehen sich durch den gesamten Film und geben ihm eine gewisse ästhetische Struktur.
Viele Szenen spielen in den Kellerräumen eines leer stehenden Hauses. Die Ausstattung scheint komplett aus den 80er-Jahren zu stammen. Ist es Zufall?
Ich würde dieses Jahrzehnt als meinen persönlichen Fetisch bezeichnen. Die Musik und die Filme dieser Zeit haben mich stark geprägt. Deshalb bin ich nicht nur mit unserer Ausstattung sehr glücklich, sondern auch über den Soundtrack den Mousse T. und Peter Hinterthür für unseren "Tatort" komponiert haben. Die Synthesizer-Musik der 80er, gemischt mit flächigen Sounds, schafft eine ungeheuer dichte Atmosphäre. Außerdem hat Mousse T. einen wunderbaren Song für Falke komponiert. Aber da will ich nicht zu viel verraten.
Sie waren bei den Castings fast immer dabei. Worauf legten Sie besonderen Wert?
Die Schauspieler müssen imstande sein, ihre Texte frei zu sprechen. Ich arbeite als Regisseur selber sehr frei und erwarte von ihnen, sich vom geschriebenen Text zu lösen. Meine Anweisung ist immer: Gebt mir den Inhalt wieder, aber formt die Sätze so um, dass ihr sie wie aus dem Stegreif sprechen könnt. Quentin Tarantino geht es in seinen Filmen zum Beispiel um das genaue Gegenteil. Seine Schauspieler sprechen auf eine Art, als würden sie die Texte zitieren. Bei ihm sollen die Dialoge stylish und cool klingen, bei mir superecht.
Haben Sie diese Echtheit auch bei Cem-Ali Gültekin gefunden, der den Attentäter Enis spielt?
Cem spricht fließend arabisch. Er hat einen türkisch-syrischen Hintergrund. Wenn er Gebete spricht oder Flüche ausstößt, dann wirkt das nicht aufgesetzt oder irgendwie einstudiert. Es ist aber nicht nur die Sprache, die stimmig sein muss. In einer Szene zerschlägt Enis einen Teller, um mit einer Scherbe seine Fesseln zu lösen. Auf dem Teller liegt Brot, es ist im Islam heilig. Also küsst er das Brot dreimal und hält es an seine Stirn, bevor er es auf den Boden legt. Es war improvisiert. Auf solche Feinheiten, die man nicht so ohne weiteres schreiben kann, kommt es mir an. Sie machen Authentizität aus.
Ihr Film wird wegen der Anschläge in Paris früher ausgestrahlt als geplant.
Wir haben den Film lange Zeit vor Paris gedreht. Doch seit den Attentaten im vergangenen November beginne ich den Film mit anderen Augen zu sehen. Es ist ja gar nicht so unwahrscheinlich, was wir hier erzählen. Wir schildern, im Gegenteil, eine reale Gefahr. Tag für Tag kommen Leute auf illegalem Weg nach Deutschland, unter denen sich mögliche Attentäter befinden können. Terrorexperten mit denen wir im Vorfeld zum "Tatort" gesprochen haben, rechnen in der nächsten Zeit mit verstärkten Angriffen auf weiche Ziele in der Bevölkerung. Die Strategie dahinter ist klar: Jeder soll sich angegriffen fühlen.
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