Benachteiligt und gemobbt: Schwangere Ärztinnen in Kliniken
REPORT-Recherchen ergeben: Ärztinnen werden in deutschen Kliniken benachteiligt. Sie erhalten weniger Festanstellungen als Männer, werden seltener befördert, fallen hinter den männlichen Kollegen zurück.
Häufig erhalten sie ein Beschäftigungsverbot, sobald sie schwanger sind. Auch die Reform des Mutterschutzgesetzes 2018 hat dies nicht geändert. Obwohl Arbeitgeber laut Gesetz verpflichtet sind, "nach Maßgabe der Gefährdungsbeurteilung erforderliche Schutzmaßnahmen festzulegen" und "Anpassungen der Arbeitsbedingungen" anzubieten, schicken die, zum Großteil, männlichen Vorgesetzten schwangere Ärztinnen umgehend ins Beschäftigungsverbot. Darüber hinaus haben laut einer Studie der Uni Göttingen knapp ein Drittel der Ärztinnen Diskriminierung wegen einer möglichen oder bestehenden Mutterschaft erfahren.
Text des Beitrags:
Eigentlich könnte Ärztin Eva-Maria Lebtig auch eine Magen-OP durchführen oder Tumore entfernen. Stattdessen berät die ausgebildete Chirurgin heute eine Kundin zum Thema Zähneknirschen in ihrer Berliner Privatpraxis für ästhetische Medizin.
Dr. Eva-Maria Lebtig, Chirurgin:
„Ich war super gerne im OP-Saal. Ich habe im Krankenhaus Sachen erlebt, gesehen und erfahren, die einfach nicht okay waren.“
Die 40-Jährige sei gemobbt worden, erzählt sie uns - weil sie schwanger wurde und daher nicht mehr voll einsetzbar war.
Dr. Eva-Maria Lebtig, Chirurgin:
„Am Anfang war das sehr subtil. Du wirst nicht mehr gegrüßt morgens, die Leute, die verdrehen die Augen, wenn sie dich sehen, dir werden Informationen vorenthalten, um deine Patienten zu versorgen. Das ist so erdrückend für eine junge Frau, die schwanger ist.“
Eva-Maria Lebtig will aber nicht einknicken, kämpft dafür, dass sie ihre Weiterbildung zur Fachärztin trotz Schwangerschaft fortführen kann. Aber: Genau das sei von ihren Vorgesetzten nicht erwünscht gewesen.
Dr. Eva-Maria Lebtig, Chirurgin:
„Ich war desillusioniert, ich habe mich an die Frauenbeauftragte gewandt. Ich habe mich an die Betriebsräte gewandt. Es ist überhaupt nichts passiert.“
Ihrer Klinik seien keine „diesbezüglichen Beschwerden bekannt“, antworten die auf unsere Nachfrage. Mobbing in der Schwangerschaft - mit dem Ziel, die Frauen aus dem Arztberuf zu drängen. Ist ihr Erlebnis im Klinikum ein Einzelfall? Nur wenige Frauen haben den Mut, an die Öffentlichkeit zu gehen. Doch anonym erzählen zahlreiche von ähnlichen Erlebnissen:
Ina G.:
„Ich habe nach Bekanntgabe meiner Schwangerschaft gebeten, auf der Privatstation eingeteilt zu werden. Aber dann bin ich auf die septische Station gekommen. Mit lauter Menschen, die multiresistente Keime haben, Covid oder Tuberkulose. Ok, dachte ich, dann gehe ich halt ins Beschäftigungsverbot.“
Anika M.:
„Ich war frisch verheiratet und im 3. Assistenzarztjahr, als in meiner Klinik jemand zur Ausbildung als Netzhautchirurg gesucht wurde. Ich sprach den Chefarzt an, dass ich Interesse hätte. Er antwortete mir Wochen später, er hätte wirklich darüber nachgedacht, aber es würde nicht passen, da ich schwanger werden könnte.“
30 Prozent der Ärztinnen wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft diskriminiert
Marie Ritter und Margarete Boos haben sich in einer Studie unter Teilnahme mehrerer hundert Ärztinnen und Medizinstudentinnen mit geschlechtsbezogener Diskriminierung an Unikliniken befasst. Gerade Mutter- und Schwangerschaft bieten hierfür einen Angriffspunkt.
Marie Ritter, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, TU Braunschweig:
„Insbesondere die Heftigkeit der Erfahrungen, die berichtet wurden, und auch eben die Formulierungen teilweise, als Frau bist du nach der Niederkunft umprogrammiert im Gehirn, was wirklich auch davon zeugt, wie diese Kultur nichts dagegen unternimmt gegen diese Art von Diskriminierung.“
Das Ergebnis ihrer Studie: Knapp 30 Prozent aller Ärztinnen haben wegen bestehender oder möglicher Mutterschaft Diskriminierung erfahren - und jede siebte Medizinstudentin, nämlich knapp 14 Prozent.
Prof. Margarete Boos, Wirtschafts- und Sozialpsychologie Universität Göppingen:
„Man muss auch berücksichtigen, dass die Medizin immer noch ein sehr hierarchisches System ist mit großem Machtgefälle. Und dass dieses Zurückgreifen auf so geschlechtsspezifische Vorurteile, Bilder, da relativ unangekränkelt bestehen kann, weil die eben von den Mächtigeren geäußert werden.“
Und die Mächtigeren, das sind so gut wie flächendeckend immer noch Männer. Aber auch, wenn die Schwangerschaft bei Kollegen und Vorgesetzten positiv aufgenommen wird: Kinder zu bekommen ist für Ärztinnen allzu oft noch ein Karrierekiller. Deshalb hat Svenja ihre Schwangerschaft erst im fünften Monat öffentlich gemacht, denn danach durfte die Chirurgin keine Operationen mehr durchführen.
Svenja:
„Ich habe mich entmündigt gefühlt in dem ganzen Prozess, weil mir eben auch wiederholt gesagt wurde, dass ich als Schwangere das nicht selber zu entscheiden habe, wie ich weiterarbeiten darf, wo ich weiterarbeiten darf und was ich letztendlich machen darf.“
Svenja ist nicht ihr richtiger Name. Den möchte die 30-Jährige nicht nennen, auch nicht den ihres Arbeitgebers. Dabei hat ihre Klinik die gesetzlichen Vorgaben sogar erfüllt.
Nach Bekanntgabe der Schwangerschaft ist der Arbeitgeber nach § 14 des Mutterschutzgesetzes verpflichtet, rechtzeitig eine Gefährdungsbeurteilung des individuellen Arbeitsplatzes vorzunehmen und Arbeitsschutzmaßnahmen zu treffen. Die individuelle Gefährdungsbeurteilung wird vom Arbeitgeber an das zuständige Gewerbeaufsichtsamt übermittelt. Der Entscheid dieser Behörde hat dann aber nur empfehlenden Charakter und ist nicht rechtlich bindend.
Der negative Entscheid der Behörde kam per Post - pauschal und ohne vorherige Arbeitsplatzbegehung. Svenjas Vorgesetzte folgten der Empfehlung des Amtes. Ein häufiger Grund für solch eine Entscheidung: die Angst vor der Haftung, sollten Mutter und Kind doch etwas zustoßen.
Haftung nur bei „vorwerfbarer Pflichtverletzung”
Doch dafür gibt es keine rechtliche Grundlage, so Arbeitsrechtlerin Prof. Katja Nebe, die hier beim Hans-Böckler-Forum spricht und personalverantwortliche Ärzte und Ärztinnen zu diesem Thema berät.
Prof. Katja Nebe, Rechtswissenschaftlerin, Universität Halle:
„Im Arbeitsverhältnis haftet jede Seite nur, wenn eine vorwerfbare Pflichtverletzung vorliegt. Wer die Gefährdungsbeurteilung unternimmt und die Schutzmaßnahmen ergreift, hat zunächst sozusagen das Recht auf seiner Seite und kann sagen: Ich habe mich pflichtgemäß verhalten. Und dann stellt sich die Haftungsfrage nicht.“
Arztbriefe schreiben, Patientengespräche führen: Damit verbringt Chirurgin Svenja ihre letzten Monate in der Klinik.
Svenja:
„Und das hat zum Teil auch zu absurden Situationen geführt - beispielsweise, wenn dringend noch jemand für die OP-Assistenz benötigt wurde, und ich diese Stelle dann aber in dem Moment nicht ausfüllen durfte.“
Marburger Bund: „Verschwendung ärztlicher Arbeitskraft“
Die Vorsitzende des Marburger Bundes, Susanne Johna, ist Krankenhaushygienikerin und kritisiert diese pauschale Blockierung schwangerer Fachkräfte.
Dr. Susanne Johna, Vorsitzende Marburger Bund:
„Das lässt sich so nicht nachvollziehen, warum das so ist. Und wenn man sagt, man will vor potenziellen Infektionsgefahren schützen, dann muss man sagen, die Infektionsgefahr ist wahrscheinlich in einem vollen Bus größer als im Operationssaal.“
Laut einer Studie des Marburger Bundes bekommen aber 46 Prozent aller schwangeren Ärztinnen im Klinikbetrieb ein gänzliches Beschäftigungsverbot.
Dr. Susanne Johna, Vorsitzende Marburger Bund:
„Die Ärztinnen, die sich das möglicherweise nicht zutrauen, denen muss natürlich die Möglichkeit eingeräumt werden, kürzer zu treten. Aber die, die es wollen, die eine völlig unkomplizierte Schwangerschaft haben, die einfach ins Beschäftigungsverbot zu schicken, ist Verschwendung ärztlicher Arbeitskraft.“
Dabei ist das seit der Reform des Mutterschutzgesetzes 2018 klar geregelt:
Mutterschutzgesetz §9 (1):
„Soweit es nach den Vorschriften dieses Gesetzes verantwortbar ist, ist der Frau auch während der Schwangerschaft, die Fortführung ihrer Tätigkeiten zu ermöglichen. Nachteile aufgrund der Schwangerschaft (…) sollen vermieden oder ausgeglichen werden.“
Antidiskriminierungsbeauftragte fordert „leichter anwendbares Gesetz zum (…) Schwangerenschutz“
Den Vollzug des Mutterschutzgesetzes aber kontrolliert niemand. Das zuständige Familienministerium schreibt auf REPORT MAINZ-Anfrage, man könne sich wegen einer Benachteiligung an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wenden, um dort entsprechend beraten zu werden.
Doch der Antidiskriminierungsbeauftragten, Ferda Ataman, ist das nicht ausreichend:
Ferda Ataman, Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung:
„Wir brauchen einen Diskriminierungsschutz, der leichter anzuwenden ist. Frauen dürfen damit nicht alleine gelassen werden mit allen Kosten und Risiken, die es hat, wenn man sich gegen Arbeitgebende wehrt oder gegen eine Diskriminierung wehrt, sondern sie brauchen da Unterstützung. Und da müssen wir nachjustieren.“
Eva-Maria Lebtig hat sich den Wunsch vom Muttersein erfüllt - und dafür ihren Traumberuf Chirurgin aufgegeben. Dass beides zusammen auch in Zukunft nicht funktionieren soll, will sie nicht akzeptieren.
Dr. Eva-Maria Lebtig, Chirurgin:
„Ich habe auf der einen Seite meinen Beruf, aber ich bin doch auch eine Frau, weil ich gerne Kinder haben möchte. Und weil ich gerne eine Familie haben möchte. Und diesen allen Frauen das zu verwehren und zu verweigern, das geht nicht.“
Für sie gibt es im jetzigen System keinen Weg zurück ins Klinikum. Damit geht dem aber einmal mehr eine Chirurgin verloren.
Stand: 06.03.2024 14:59 Uhr