Riskante Altersvorsorge - Kleinanleger bangen um ihr Geld

Immobilien, Windparks oder Schiffscontainer - angeboten als lukrative Investitionsmöglichkeit auf dem sogenannten Grauen Kapitalmarkt. Statt sicherer Altersvorsorge kann der Totalausfall drohen, dies zeigen REPORT MAINZ- Recherchen. 

Cuxhaven vor einigen Wochen. Für Günter Ehlen ist es schon Routine. Mindestens zweimal täglich muss der Mieter die Schüssel leeren, Wasser tropft von der Decke. Ein normales Leben ist in dieser Wohnung nicht mehr möglich. Er und seine Frau sind ins Wohnzimmer geflüchtet, der einzige schimmelfreie Raum. Hier leben und schlafen sie, suchen verzweifelt nach einer neuen Wohnung.

Günter Ehlen, betroffener Mieter
Günter Ehlen, betroffener Mieter | Bild: SWR / SWR

Günter Ehlen, betroffener Mieter:
„Ich bin stinksauer, weil durch die Situation hier, es ja auch meine Gesundheit sehr gefährdet, weil ich ja schwer Asthma erkrankt bin. Zwei Herzinfarkte hatte. Es passiert hier einfach nichts.”

Angelika Ehlen, betroffene Mieterin:
„Ich kann nicht mehr. Das bringt alles kein Spaß mehr.”

Auch andere Wohnungen im Haus seien betroffen, Mieter schon ausgezogen. Günter Ehlen hat immer wieder versucht, die zuständige Immobilienfirma zum Handeln zu bewegen, etwa über eine Mietminderung. Er und seine Frau hätten schon sechzig E-Mails geschrieben.

Angelika Ehlen, betroffene Mieterin
Angelika Ehlen, betroffene Mieterin | Bild: SWR / SWR

Angelika Ehlen, betroffene Mieterin:
„Die Wut, dass nichts gemacht wurde. Das es denen allen egal ist. Nichts wird gemacht, gar nichts. Das Haus verkommt. Und wir leben drin!”

Anbieter versprach „Rundum-Sorglos-Paket“

Wer ist dafür verantwortlich? Das Ehepaar Ehlen wohnt zur Miete. Die Wohnungen in Cuxhaven gehören Kleinanlegern, die sie als Kapitalanlage gekauft haben. Von einer Firma namens Alpha Real Estate. Das Geschäftsmodell: Wohnungen wurden als sichere Altersvorsorge vermarktet. Mit garantierten Mieteinnahmen. Um Reparaturen oder Vermietungen müsse sich der Anleger nicht kümmern, so ein Manager von Alpha 2022 in einem Interview:

„Alpha”-Immobilienmanager auf YouTube:
„Wenn wir die Immobilie verkauft haben, stehen wir trotzdem für ihn noch Gewehr bei Fuß. Wir haben nämlich eine eigene Haus- und Mietverwaltung, die sich um alle Weh-Wehchen kümmert, so dass er, auch wenn er kein Immobilien-Profi ist, trotzdem investieren kann und wir ihm die ganzen Sachen hintenrum abnehmen, aufgrund der Tatsache, dass wir natürlich über gewisse Kenntnisse. - Also ein Rundum-Wohlfühl-Konzept? - Ja, ein Rundum-Sorglos-Paket.”

Deutschlandweit hatte Alpha nach eigenen Angaben rund 4.000 Wohnungen verwaltet. Wir finden in mehreren Städten unzufriedene Mieter. Und Käufer von Alpha-Wohnungen, die sich beschweren, ihre garantierte Miete nicht bekommen zu haben. Im November 2023 hat Alpha Insolvenz angemeldet. Also finanzieller Reinfall statt Altersvorsorge?

Rechtsanwalt Samuel Schwake aus Mannheim vertritt rund 900 Alpha-Anleger. Er und sein Team haben stapelweise Material zum Firmen-Geflecht zusammengetragen.

Samuel Schwake, Rechtsanwalt
Samuel Schwake, Rechtsanwalt  | Bild: SWR

Samuel Schwake, Rechtsanwalt:
„Wenn man sich Objekte anschaut, die ich persönlich kennengelernt habe, dann hat das natürlich mit dem Hochglanzprospekt nichts zu tun. Das sind Objekte, die stark renovierungsbedürftig sind. Und sie können sicher sein, dass ich einige weinende Mandanten hier hatte, das geht mir nahe, das ist doch völlig klar.”

Anbieter verspricht Aufarbeitung der Vergangenheit

Viele seiner Mandanten hätten ihre gesamten Ersparnisse in die Kapitalanlage gesteckt, vom Lkw-Fahrer bis zum Manager. Was mit dem Geld passiert ist, versucht er nun mit seinem Team herauszufinden.

Wir fragen mehrfach bei Alpha nach. Zum ersten Mal im Mai. Die Firma schreibt, dass mit der Insolvenz in Eigenverwaltung eine Zäsur eingetreten sei. Demnach…

Stellungnahme Alpha Real Estate:
„… ist es der aktuellen Geschäftsführung derzeit nicht möglich, Stellung zu nehmen. Mit der Aufarbeitung der Vergangenheit wurde bereits begonnen“.

Kurz vor der Sendung unterstreicht das Unternehmen noch einmal: Im Fokus der neuen Geschäftsführung stünden grundlegende Maßnahmen, wie bspw. die Reparatur von Heizungsausfällen.

Stellungnahme Alpha Real Estate:
„Unmittelbar nach Anordnung der vorläufigen Insolvenz wurden Sofortmaßnahmen aufgesetzt, um Mängel in den Objekten schnellstmöglich zu bearbeiten.“

Zudem werde das bisherige Vertriebsmodell seit der Insolvenz nicht mehr praktiziert.

Prof. Bernd Nolte, Wirtschaftswissenschaftler
Prof. Bernd Nolte, Wirtschaftswissenschaftler | Bild: SWR

Statt Altersvorsorge unsichere Kapitalanlagen: Alles andere als ein Einzelfall. Immer wieder setzen Anleger auf riskante Finanzprodukte und müssen anschließend um ihr Erspartes bangen. Professor Bernd Nolte lehrt Wirtschaftswissenschaften in Stuttgart und kennt die Verkaufstricks vieler Anbieter.

Prof. Bernd Nolte, Wirtschaftswissenschaftler:
„Die wollen Kunden irgendein böhmisches Dorf verkaufen, irgendeine fantastische Geschichte, möglichst mit Mietpreis und sonstigen Garantien. Toller Verkaufsprospekt, elegant gemacht, vielleicht mit noch ein paar Promis, die erzählen. Das hat sich aber ganz toll für mich gelohnt. Ja. Und mit Speck fängt man Mäuse. Und es wiederholt sich gerade wieder.”

Grauer Kapitalmarkt – riskant und intransparent


Als besonders riskant und intransparent gilt der sogenannte Graue Kapitalmarkt, über den REPORT MAINZ schon mehrfach berichtet hatte. Im Gegensatz zum normalen, weißen Kapitalmarkt, der streng kontrolliert über Börsen und Banken läuft, werden Finanzprodukte auf dem Grauen Kapitalmarkt meist direkt vertrieben und von den Finanzbehörden kaum überwacht. Es locken extrem hohe Renditen, mit der Gefahr eines Totalausfalls. Besonders diese Unternehmen gingen durch die Medien: Der Windpark-Betreiber Prokon, der Schiffscontainer-Verleiher P&R und zuletzt der grüne Stromproduzent UDI.

Auch Guido Schütte hat in diesen Markt investiert, in eine Vielzahl von Immobilienprojekten, über verschiedene Internet-Plattformen. Die Anbieter solcher Finanzprodukte, genannt Emittenten, versprachen jährliche Zinsen von 6 Prozent oder mehr.

Guido Schütte, Kleinanleger
Guido Schütte, Kleinanleger | Bild: SWR

Guido Schütte, Kleinanleger:
„Wir haben auch schon Projekte gehabt, wo der Emittent plötzlich nicht mehr erreichbar war und sich über irgendwelche Twitter oder sonst wie aus Dubai meldet. Und, und ja, hier kann man jetzt gucken, wie man damit umgeht und wo man sein Geld wieder kriegt.”

Rund 20.000 Euro sind schon weg. Eigentlich gedacht für die Altersvorsorge von ihm und seinem Mann. Für weitere 70.000 Euro sieht es aktuell schlecht aus.

Guido Schütte, Kleinanleger:
„Es macht schon wütend, wenn man mitbekommt, dass im Exposé, beispielsweise bei einem Projekt habe ich das jetzt gerade, da stand drin: Die Baugenehmigung wurde erteilt, das verleiht einem ja auch ein Gefühl der Sicherheit. Und jetzt zum Auszahlungstermin stellt sich heraus, es ist doch alles ganz anders, die Baugenehmigung war nie erteilt. Und dann stellt sich die Frage, ja, wie kann so etwas passieren? Und wo ist mein Geld überhaupt geblieben?”

Forderung nach strengeren Regeln für Grauen Kapitalmarkt

Wegen solcher und ähnlicher Fälle drängen Experten und Verbraucherschützer seit Jahren auf strengere Regeln für den Grauen Kapitalmarkt. Auch die Bundesregierung hat das Problem offenbar erkannt. Laut Koalitionsvertrag soll die Finanzaufsicht Bafin aktiv werden.

Zitat aus dem Koalitionsvertrag:
„Wir werden die BaFin beauftragen, Regulierungslücken im Grauen Kapitalmarkt zu identifizieren.”

Die Vorschläge der BaFin liegen laut Bundesfinanzministerium seit mehr als zwei Jahren auf dem Tisch. Doch das Ministerium von Christian Lindner hält den Bericht bis heute unter Verschluss.

Für Bruno Hönel, der sich für die grüne Bundestagsfraktion mit dem Grauen Kapitalmarkt beschäftigt, ist das nicht akzeptabel.

Bruno Hönel, B’90/Grüne, Bundestagsabgeordneter
Bruno Hönel, B’90/Grüne, Bundestagsabgeordneter | Bild: SWR

Bruno Hönel, B’90/Grüne, Bundestagsabgeordneter:
„Es muss jetzt darum gehen, dass wir als Parlament schnellstmöglich den Abschlussbericht dann tatsächlich erhalten und dann auch gemeinsam beraten können, wo wir gesetzlich aktiv werden müssen. Uns muss es darum gehen als Politik, dass wir die notwendige Transparenz herstellen und im Zweifelsfall auch darüber nachdenken, den aktiven Vertrieb solcher Produkte, die ja auch sehr aggressiv beworben werden, ein Stück weit einzuschränken.”

Ministerium spricht sich gegen Vertriebsverbot aus

Auf Anfrage von REPORT MAINZ spricht das Bundesfinanzministerium von einem „Dialogprozess” mit der BaFin, der noch nicht abgeschlossen sei. Und hält zum Beispiel ein Vertriebsverbot riskanter Produkte auf dem Grauen Kapitalmarkt für wenig hilfreich.

Stellungnahme Bundesministerium für Finanzen:
„Ein derartiges Verbot würde (…) nicht nur zu Einschränkungen der Anlagemöglichkeiten von Anlegerinnen und Anlegern, sondern auch zur Einschränkung der Finanzierungsmöglichkeiten von Unternehmen führen.“

Prof. Bernd Nolte, Wirtschaftswissenschaftler:
„Ja, das ist eine FDP-typische marktliberale Antwort. Es geht ja nicht darum, Märkte zu zerstören oder auszutrocknen. Es geht darum, Märkte zu bändigen und mit einer sozialen Verantwortung zu versehen. Und unsere Gesellschaft ist eben eine soziale Marktwirtschaft, die die Auswüchse der Marktwirtschaft zu bändigen weiß. Darauf kommt es an.”

Zumindest wäre das im Sinne von Kleinanlegern wie Guido Schütte, die um ihre Altersvorsorge zittern müssen. Er will andere vor den hohen Risiken im Grauen Kapitalmarkt warnen.

Guido Schütte, Kleinanleger:
„Also für mich ist klar und da kann ich auch nur jedem sagen: Überlegt euch das dreimal, bevor ihr das macht. Ich würde es nicht noch mal machen. Ich habe jetzt unterm Strich draufgelegt und hoffe, dass ich jetzt durch Schadensbegrenzung das möglichst geringhalte.”

Für das Ehepaar Ehlen wiederum gibt es gute Nachrichten. Sie haben inzwischen eine neue Bleibe gefunden und sind ausgezogen. Bloß raus aus der Schimmel-Wohnung.

Günter Ehlen, Mieter:
„Dieses Schlafen hier in der Stube, im Wohnzimmer.... - Das ist kein Zustand. - Kein Zustand.”

Stand: 05.09.2024 23:45 Uhr