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Australien: Corona-Welle spaltet das Land

Australien: Corona-Welle spaltet das Land | Bild: picture alliance/dpa/AAP | Dan Himbrechts

Einst war Australien das Vorzeigeland in Sachen Corona. Die "Null-Covid-Strategie" mit strikten Lockdowns und geschlossenen Grenzen war erfolgreich, die Zahlen blieben niedrig. Der aktuelle Ausbruch der Delta-Variante lässt die Regierung nun über einen Strategiewechsel und ein Leben mit Covid nachdenken. Doch nicht alle Bundesstaaten sind gleichermaßen betroffen. Während in Australiens dicht bevölkerten Bundesstaaten New South Wales und Victoria die Infektionszahlen täglich steigen und strikte Lockdowns umgesetzt werden, geht im Bundesstaat Western Australia mit der Hauptstadt Perth das Leben ganz normal weiter. "Null-Covid" gilt hier auch weiterhin als Erfolgsmodell. Eine Öffnung der regionalen Grenzen wird sehr kritisch gesehen.

Pandemiemüdigkeit bei Australiern

Zwei Polizistinnen sprechen mit einen Mann.
Strenge Kontrollen in Sydney. | Bild: NDR

Australien 2031: Im Werbespot ein durch die Pandemie geteiltes Land. Mit Mauern zwischen allen Bundesstaaten. "Was ist auf der anderen Seite, Mama?" Antwort: "Man nennt sie Queenslander." So dicht ist der Spot an der Realität. Am Vatertag 2021 dürfen sich ausnahmsweise Familien an der Grenze zwischen Queensland und New South Wales treffen. In Australien ist Pandemie-Politik Sache der Bundesstaaten und die schotten sich bei Ausbrüchen einfach ab. Sydney, Hauptstadt des Bundesstaates New South Wales ist derzeit Corona-Hotspot und im Lockdown.

Die Garveys haben hier auf Online-Handel umgestellt. Ihr kleiner Nachbarschaftsladen ist seit nun mehr als zwei Monaten für Kundenbesuche geschlossen. Pakete packen, dazwischen die einährige Willa versorgen, zwei weitere Kinder im Home-Schooling: "Wir haben unsere verletzlichen Momente zu Hause. Das ganze Programm: Tränen, anschreien, Umarmungen. Ganz schön stressig, na klar“, sagt Joff Garvey.

Die Garveys sind pandemiemüde wie viele Australier. Trotz des Lockdowns steigen die Covid-Zahlen. Die strenge No-Covid-Politik kommt mit der Delta-Variante an ihre Grenzen, gibt inzwischen selbst die Regierung in ihrem Bundesstaat zu. Auch die Garveys träumen von Freiheit: "Wir müssen lernen, mit Covid zu leben. Wir sollten der Realität ins Auge blicken. Genau wie wir auch mit der Grippe leben müssen", meint Kate Garvey.

Perth: kein Covid, kein Abstand, keine Masken

4.000 Kilometer vom Hotspot Sydney entfernt: Perth, die Hauptstadt von West-Australien ist covidfrei. Jenny Javier ist für jeden einzelnen Tag ohne Corona dankbar. Denn ihre Tochter Tameka hat mehrere Behinderungen und leidet an Anaphylaxie: Ihr Körper reagiert schon bei kleinsten Veränderungen mit lebensbedrohlichen, allergischen Schocks. Ein Leben ohne strikte No-Covid-Politik macht ihr Angst: "Ich bin traurig, wenn ich sehe, dass die anderen Bundesstaaten aufgeben. Das will ich nicht. Dann kommt Covid irgendwann auch zu uns und wer weiß, was dann passiert."

Ihr ist klar, dass die Grenzen zu den anderen Bundesstaaten früher oder später wieder öffnen werden. Doch das zwingt sie zu einer Entscheidung, die keine Mutter je treffen möchte."Wenn meiner Tochter etwas passiert, dann bin ich schuld. Wenn ich sie nicht impfen lasse, könnte sie an Covid sterben und wenn ich sie impfen lasse, könnte sie an der Impfung sterben. Das ist die  Entscheidung, die ich treffen muss."

Tameka selbst versucht sich nicht all zu viele Gedanken darüber zu machen. Sie hat ganz andere Sorgen. Und die zeigen, wie kompliziert die Situation für alle ist: "Hoffentlich sehe ich meinen Freund bald wieder. Er lebt in Sydney, auf der anderen Seite Australiens."

Impfkampagne in Australien kam nur schleppend in Gang

Zurück in Sydney. Die Polizei kontrolliert streng, ob sich alle an die Regeln halten. Mit Ausnahmen darf sich jeder nur fünf Kilometer außerhalb der eigenen Wohnung bewegen, sonst drohen Strafen. Café-Besitzer Gerardo Barrios regt das auf. Er kann im Moment nur Take Away anbieten. Bis Mitte Oktober soll der Lockdown gehen. Bis endlich 70 Prozent der Erwachsenen voll geimpft sind. Mit seinen Stammgästen redet er derzeit viel darüber, wer es schon geschafft hat, einen Termin zu ergattern. Denn die Impfkampagne in Australien kam nur schleppend in Gang. "Ich habe das Gefühl, wir sind irgendwann am Lenkrad eingeschlafen. Wir waren in einer einzigartigen Situation vor einem Jahr. Besser als alle anderen. Und dann haben wir es vermasselt und müssen jetzt aufholen", sagt Barrios.

Die Einschränkung der Freiheitsrechte, die Reiseverbote, das Abschotten ganzer Bundesstaaten. Der Barrista hat kein Verständnis mehr dafür. Und er hält das sogar für eine gesellschaftliche Zerreißprobe für Australien. Der Politikwissenschaftler Tim Soutphommassan sieht einen bedenklichen Hang zum Provinzialismus: "Wenn Bundesstaaten wie Queensland oder Western Australia wirklich nicht öffnen wollen, ist es gut möglich, dass Australier demnächst leichter aus Sydney nach London oder Berlin reisen können als nach Perth. Und das ist für dieses Land schon eine sehr befremdliche Situation."

"Wir sind der freieste Staat von Australien"

Menschen sitzen in Gruppen in einem Park.
In Perth genießen die Menschen das Leben ohne Einschränkungen. | Bild: NDR

Doch in Perth gibt es derzeit vor allem Frühlingsgefühle: kein Covid, kein Abstand, keine Masken. Viele hier sind glücklich mit der selbst auferlegten Isolation: "Man vergisst total, was in den anderen Bundesstaaten los ist. Wir sind derzeit eine Festung. Niemand kommt so richtig bei uns rein und jeder der drin ist, will nicht wieder weg", sagt David Tabot. Und das soll nach dem Willen von Mark McGowan, Premierminister West-Australiens, auch erst einmal so bleiben.

Er will sich nicht festlegen, wann genau er die Grenzen wieder öffnet – irgendwann 2022, wenn alles gut geht: "Wenn manche uns jetzt sagen, dass wir in einer Höhle leben. Dann ist es doch eine ziemlich gute Höhle. Wir sind der freieste Staat von Australien, vielleicht sogar der ganzen Welt. Der Wirtschaft geht es sehr gut. West-Australien kann wirklich stolz auf sich sein."

Im Werbespot bringt übrigens die Sehnsucht nach gemeinsamen Lammfleisch-Barbecues die Mauern zum Einstürzen. So einfach scheint es derzeit nicht zu sein.

Autorin: Sandra Ratzow, ARD-Studio Singapur

Stand: 12.09.2021 19:51 Uhr

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