So., 22.01.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
China: Covid-Welle auf dem Lande
Einfach so – rein in den Pekinger Westbahnhof, ohne PCR-Test, nur mit einem Zugticket. Vor ein paar Wochen war es hier noch leer gewesen, nun wollen Millionen nach Hause zu ihren Liebsten zum höchsten Fest des Jahres. Wir fahren mit aufs Land und wollen wissen, ob das Neujahrsfest eine Covid-Welle nach sich zieht, wie groß das Leid ist.
Lockdown: Wochenlang im Studentenheim-Zimmer
Wir treffen auf unterschiedliche Realitäten. Im Zug Richtung Zhengzhou lernen wir Kirin Zhang kennen. Er studiert in Peking und zeigt uns seinen ganzen Stolz: eine selbst gezüchtete Rosensorte, er hofft auf ein Patent für "Violetter Glanz" wie er sie nennt. Auch wenn bei ihm der letzte Besuch, wie bei vielen, nicht drei Jahre her ist, er ist ziemlich aufgeregt: "Ich vermisse meine Eltern. Ja. Letztes Jahr bin ich nach Hause gefahren und meine Großmutter hat meine Hand geschüttelt und gesagt: 'Du kommst nicht mehr. Ich mache mir Sorgen, Sorgen um Dich. Ich bin schon so alt, ich mache mir Sorgen, dass ich Dir nicht wiedersehe.'"
Er war an seiner Uni lange im Lockdown, im vergangenen Jahr wochenlang wie er sagt: "Ich war einfach nur in meinem Studentenheim-Zimmer, fünzig Tage lang. Das ist sehr deprimierend. Ich freue mich auf die Freiheit. Das ist meine Natur." Wir begleiten ihn in sein Dorf. Es ist eine Tagesreise, knapp 800 Kilometer südlich von Peking. Für chinesische Verhältnisse ist das eine normale Distanz. Kirin Zhang hat selbst schon Covid gehabt. In seinem Dorf, wie wir später erfahren, wohl auch die meisten– die Infektionswelle ist dort schon durchgezogen.
Corona: Viele Beerdigungen auf dem Land
Ortswechsel, 1.300 Kilometer entfernt in der Küstenprovinz Fujian. Hier spüren wir das Leid, das mit der Corona-Welle durch das Land zieht. Wir sind mit Li Meizhen unterwegs, können sie zu Beerdigungen begleiten. Wir wollen herausfinden, wie viele hier an Corona gestorben sind. Li Meizhen verdient auf Beerdigungen ihr Geld. Sie ist professionelle Trauer-Weinerin. Es ist 9 Uhr morgens und sie ist schon auf der zweiten Beerdigung im Einsatz. Sie trägt eine weiße Binde um den Bauch, so wie es hier der Brauch für alle Angehörigen ist. Weinend erzählt sie die Lebensgeschichte der Verstorbenen. "Wenn niemand weint, würden das die Menschen als zu ruhig und kaltherzig empfinden. Das wäre nicht gut", sagt sie.
Die Trauergemeinde fährt zum Krematorium. Dieser Tod, so wird uns gesagt, sei kein Corona-Tot. Ob das stimmt? Wir wissen es nicht. Tote durch die Pandemie sind ein Politikum. Aber Li weiß, dass hier ungewöhnlich viel Betrieb ist: "Normalerweise war das Krematorium immer nur vormittags geöffnet. Aber jetzt ist es fast rund um die Uhr in Betrieb, 24 Stunden am Tag." Immer wieder werden leere Särge weggefahren, neue Trauergemeinden kommen an. Ein Mann erzählt: "Nach der Corona-Öffnung sind so viele Menschen gestorben. Wir haben jetzt 70 oder 80 Einäscherungen jeden Tag. Es ist stressig. Li Meizhen ist schon bei der nächsten Beerdigung. Ihre Schwester springt dieses Mal mit ein. Denn Meizhens Stimme ist von der vielen Arbeit geschädigt. Sie ist in diesen Wochen maximal ausgebucht. Corona hat hier viele Opfer gefordert.
Mangel an Medikamenten
Wir fahren noch weiter raus aufs Land. Dorthin, wo nur zum chinesischen Neujahrsfest viele Besucher hinkommen. Aber Corona, so scheint es, hat es schon früher hierher geschafft. Alle, die wir hier fragen, erzählen uns, dass sie gerade wieder genesen sind. Von schwer Erkrankten spricht hier niemand, aber alle vom Mangel an Medikamenten. "Alle wollten auf einmal Medizin kaufen. Aber im ganzen Land waren sie ausverkauft, selbst fiebersenkende Mittel", erzählt Dorfbewohner Wu Yongqiang.
Beim Dorf-Arzt Lei Zhitian ist es derzeit leer. Vor zwei Wochen seien hier alle krank gewesen, erzählt er uns. "Etwa 70 Prozent der Dorfbewohner haben sich schon infiziert. Mit der Reisewelle zum chinesischen Neujahr könnten sich noch die restlichen 30 Prozent infizieren." Über Probleme aber will auch er nicht sprechen. Zu politisch. Lieber blickt er nun nach vorne.
Erleichterung über Ende von Null-Covid
Wieder zurück in der Mitte des Landes: Das Leid durch Corona haben hier viele schon hinter sich. Nach elf Stunden kommt Kirin Zhang in seinem Heimatdorf an. Fast alle sind schon da. Die Großmutter wohnt in seinem Elternhaus. Zum Abendessen gibt es Eier aus der eigenen Hühnerfarm. Die Eltern sind Land- und Forstwirte. Alle sind froh, dass Null-Covid vorbei ist. "Es hatte auf jeden Fall Auswirkungen auf unser Geschäft. Wegen des Lockdown. Es war schwer, zum Beispiel die Eier zu verkaufen", sagt Zhang Hongwei.
Auf dem Markt ist jetzt alles wie vor der Covid-Zeit: Einkäufe für das Neujahrsfest, Deko-Schmuck an jeder Ecke. In der Dorfstraße ist auch das Leben zurück. Bei Familie Zhang beginnen die Feierlichkeiten. Drinnen ist es unbeheizt, im Hof hinter einem Bäumchen ist das Familienklo. Sie sind froh, dass es bei ihnen keinen schlimmen Corona-Fall gab, auch sie hatten es alle: "Ernsthaft Erkrankte mussten Schlange stehen, um den Arzt zu sehen. Beim Notruf gab es Wartezeiten", erinnert sich Zhang Hongwei.
Doch diese Hochphase der Covid-Zeit ist für sie schon Vergangenheit. Bei den Zhangs ist nun vor allem Freude über das Zusammensein am höchsten Feiertag des Jahres.
Autorinnen: Tamara Anthony und Marie von Mallinckrodt, ARD-Studio Peking
Stand: 22.01.2023 19:47 Uhr
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