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Japan: Die härteste Mülltrennung der Welt

Japan: Die härteste Mülltrennung der Welt | Bild: picture alliance/dpa/Jiji Press Photo / Morio Taga

Das Dorf Kamikatsu liegt in der Region Shikoku, im Süden Japans. Die knapp 1.400 Einwohner haben sich einem großen Ziel verschrieben: Sie wollen keinen Abfall produzieren: "Zero waste" ("Null Abfall") heißt das Motto, nach dem sie handeln. Ihren Müll sortieren sie in mehr als 40 unterschiedliche Mülltonnen, um möglichst alles aus dem Abfall zu recyclen. Inzwischen ist das Dorf im ganzen Land bekannt.

Wie Wäschestücke hängt der Abfall an der Leine

Ein Frau hängt abgewaschenen Müll zum Trocknen auf.
Was Akis vierköpfige Familie an Abfall verursacht, muss sie auch selbst fortschaffen.

Nicht nur das Geschirr gehört abgewaschen im Haushalt von Familie Ikezoe. Aki Ikezoe spült jedes einzelne Stück per Hand ab, auch Folien und Schaumstoffverpackungen. Wie Wäschestücke hängt der Abfall an der Leine. "Anfangs, als ich herzgezogen bin, fand ich es schwierig. Aber dann wurde ich immer schneller fertig damit. Eigentlich ist es ja auch jeden Morgen der gleiche Vorgang", erzählt Aki Ikezoe.

Sauberer Müll ist nicht gleich schmutziger Müll. Und nichts davon ist einfach nur Unrat. Das Prinzip hat Familie Ikezoe aufgesogen wie trockenes Altpapier. Es wird getrennt. In viele Sorten Abfall. Was Akis vierköpfige Familie an Abfall verursacht, muss sie auch selbst fortschaffen.

Das Dorf Kamikatsu auf der Insel Shikoku kann sich keine Müllabfuhr leisten, aber ein modernes Recyclingzentrum. Ein Ort stellt der Welt eine Frage: Wohin mit dem Müll? Altpapierentsorgung ist hier ein Vierkampf: Kartons, Bücher, Zeitungen und Zeitschriften separat. Und zur Not wird per Hand nachgearbeitet: Getränke-Karton und Plastik-Ausguss gehören nicht zusammen, werden auseinandergeschnitten und getrennt entsorgt.

Dorf trennt seinen Abfall in 45 verschiedene Kategorien

Das Dorf trennt seinen Abfall in 45 verschiedene Kategorien. Aki hat sogar die Preisschilder von Kleidungsstücken aufgehoben. Steckt da vielleicht Metall drin? Nein, die können in den Papiermüll. Die Königsdisziplin: Wertstoff-Ballett an den Sammelbehältern für Plastik. Sauberes und gewaschenes Plastik kann weiterverarbeitet werden, schmutziges taugt nur als Brennstoff. Selbst die Deckel werden noch an die Industrie verkauft. Der Erlös geht an die Dorfbewohner. Dann kommt Aki in Entscheidungsnot: Wohin mit der Kosmetik-Dose? Außen Papier, darunter Plastik. In welchen Behälter gehört das also jetzt? Am Ende ist klar: Es muss in die Verbrennung. "Manche finden es stressig, ich auch. Aber es ist wichtig, dass man innerhalb seiner eigenen Grenzen das Mögliche tut", erklärt Aki Ikezoe.

Hier gibt es vermutlich die weltweit einzige Müllsammelstelle mit angeschlossenem Hotel. An der Rezeption wird zum Kauf angeboten, was andere in die Tonne getreten haben. Vielleicht ist irgendetwas noch zu gebrauchen. Benutzte Batterien zum Beispiel, wenn sie noch nicht ganz leer sind, Altglas wird zu Lampen, Altkleider zu Teppichen. Aus Abfall neue Werte zu schaffen – Upcycling.

Fernziel: Alles soll wiederverwertet wertet

Taschen aus Stoffresten.
80 Prozent Recylingquote hat das Dorf Kamikatsu bereits.

Hier im Recyling-Paradies wird aus der Mülltrennung eine Weltanschauung. Das Fernziel: Alles soll wiederverwertet wertet. Bei 80 Prozent Recylingquote sind sie schon angelangt. In ganz Japan sind es nur 20 Prozent. Der Hotelgast Shigeyuki Hata ist eigens aus Tokio angereist – für einen Grundkurs in Mülltrennung unter fachlicher Anleitung. Wer die 45 Sorten auswendig lernen will, sollte einen längeren Aufenthalt buchen.

Einfacher ist es mit dem Bio-Abfall, der kommt in die hauseigene Kompostanlage. Doch geht die Kompost-Klappe zu, bleibt manche Frage offen: "Vorhin zum Frühstück habe ich einen Bagel in einer Papiertüte bekommen. Sonst reiße ich immer die Tüte auf und nutze sie, um den Bagel zu essen. Aber jetzt wurde mir klar: Da bleiben Essensreste am Papier hängen, dann wird das Recyclen der Tüte schwierig. Ich weiß nicht, was ich machen soll", sagt Hotelgast Shigeyuki Hata.

Hygiene-Vorschriften sorgen für Verpackungswahnsinn

Obst in Plastik verpackt.
Gemüse und Obst werden einzeln in Plastik gehüllt.

Müllvermeidung wäre der Schlüssel. Aber zum Einkaufen im Supermarkt muss Familie Ikezoe in den nächsten Ort fahren und eintauchen in den ganz normalen Verpackungswahnsinn. Die strengen Hygiene-Ideale in Japan bringen es mit sich: Gemüse und Obst werden einzeln in Plastik gehüllt. Solange Gesetze das nicht ändern, bleibt das Null-Müll-Ziel von Kamikatsu ein Traum. Aber träumen von einer lebenswerten Zukunft, das ist erlaubt. Eine kleine Brauerei hat sich in Kamikatsu angesiedelt, Aki managt den Laden. Ohne die Mülltrennung extrem würde unser Dorf vielleicht nicht mehr existieren, meint sie. Das Müll-Konzept hat Firmen und junge Menschen angelockt. Sie wollen gemeinsam etwas bewegen.

Bier brauen und Kreislaufwirtschaft, auch da geht noch mehr. Die Rückstände aus den Kesseln sollen nicht einfach nur weggekippt werden. Sie lassen sich auch zu Dünger für die Landwirtschaft verarbeiten. Aki ist begeistert von der Idee. Draußen auf den Feldern funktioniert es schon. So düngen sie auch das Getreide für das Bier des nächsten Jahres. "Wir sollten nicht erwarten, dass ein Leben ohne Müll von heute auf morgen perfekt funkioniert. Ich will da gar nicht so rigoros sein. Ich glaube aber, dass es auch in großen Städten Dinge gibt, mit denen man einfach mal anfangen kann. Kleine Schritte, die jeder einzelne gehen kann", sagt Aki Izekoe.

Kleine Schritte auf neuen Wegen. So führen Mut und Erfindungsreichtum vielleicht am Ende zum Ziel.

Autor: Ulrich Mendgen, ARD-Studio Tokio

Stand: 13.02.2022 20:10 Uhr

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