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Pakistan: Rückkehr der Taliban – die Rolle des pakistanischen Geheimdienstes

Pakistan: Rückkehr der Taliban – die Rolle des pakistanischen Geheimdienstes | Bild: picture alliance/dpa/AP / Hamed Sarfarazi

Der pakistanische Geheimdienst "ISI" gilt als "Staat im Staate" – eine Organisation, die unkontrolliert ihre eigenen politischen Interessen umsetzt. Ein US-amerikanischer Senator hat den Geheimdienst einst als "größte Gefahr für Afghanistan" bezeichnet, weil die Pakistani die Taliban seit Jahrzehnten unterstützt haben sollen. In Pakistan werden Taliban-Führer an Universitäten ausgebildet, die durch die Regierung finanziert werden. Welche Rolle hat der Geheimdienst beim Sieg der Taliban über die afghanische Regierung gespielt?

Darul Uloom Haqqania Universität: Kaderschmiede der Taliban

Ein Mann im Interview.
Abdul Malik kam schon vor dem Sieg der Taliban aus Afghanistan nach Pakistan. | Bild: NDR

Von der Darul Uloom Haqqania Universität in Pakistan ist es nicht weit zur afghanischen Grenze. Fremde sind hier nicht willkommen. Die Universität trägt den Namen "Madrassa des Dshihads". Sie ist Kaderschmiede der Taliban. In den 1980er-Jahren rekrutierten hier auch der pakistanische und der US-amerikanische Geheimdienst Nachwuchs für den Kampf der Mudschahedin gegen die sowjetischen Besatzer Afghanistans.

Die Universität betont, dass die Studenten keine militärische Ausbildung erhalten und nicht verpflichtet wurden, sich dem Kampf in Afghanistan anzuschließen. Absolventen aber berichten von Vorlesungen, in den der Dschihad offen mit afghanischen Ausbildern diskutiert wurde. Bereits die Taliban-Gründer absolvierten hier ihre Ausbildung und lernten die strikte Auslegung des Islams und die Umsetzung der Sharia. Es ist ein Leben ausschließlich unter Männern. Die eigene Bäckerei versorgt die mehr als 4.000 bis 5.000 Studenten pro Jahr.

Der Tagesablauf ist streng geregelt. Komfort gibt es nicht. Abdul Malik kam schon vor dem Sieg der Taliban aus Afghanistan nach Pakistan. Er weiß genau, was von ihm erwartet wird, er soll die Taliban stärken: "Wir haben das mit unseren Ältesten besprochen. Sie sagten, wir sollten hierher kommen und in der Haqqania Universität studieren. Wenn ihr zurückkommt, werdet ihr in unsere Fußstapfen treten, was Dschihad, Bildung und Lebensweise angeht. Sie sagten, ich soll hier studieren und dann zurückkommen, um mich dann in Afghanistan weiter auszubilden."

Sein Mitstudent, Inayat Ur Rehman Haqqani, kommt aus Pakistan. Er ist seit fünf Jahren an der Universität und will hier noch möglichst lange bleiben. Die Länge der Ausbildung entscheidet über Karriere-Möglichkeiten im weltweiten Dshihaddisten-Netzwerk: "Die Studenten dieses Seminars sind überall auf der Welt präsent. Vor uns braucht sich niemand zu fürchten. Wir Studenten verbreiten die Botschaft der Menschlichkeit. Wir sind im Dschihad in Afghanistan präsent. Wir Studenten verbreiten den Islam in Europa, in Amerika. Die Absolventen dieser Universität werden auch dorthin entsandt."

Viele Terror-Verantwortliche haben in Pakistan studiert

Der pakistanische Staat finanziert die Einrichtung mit. Zahlreiche Mitglieder der Übergangsregierung der Taliban wurden hier ausgebildet. Aber seine Universität habe nie Studenten in den Krieg geschickt, sagt Sayed Yousaf Shah, Direktor der Darul Uloom Haqqania Universität: "Nein, die Universität hat nie Leute zur Unterstützung der Taliban geschickt, und sie haben auch nie darum gebeten. Die Taliban haben auch nie eine Islam-Schule, eine Madrasa, um Unterstützung gebeten. Nicht einmal Pakistan hat jemanden von den Madrasas geschickt. Wir haben nur dafür gesorgt, dass sie das Richtige tun. Sie kämpfen für die Freiheit. Wenn die Amerikaner das Recht haben, für die Freiheit zu kämpfen, wenn das französische Volk das Recht hat, das englische, dann hat auch das afghanischen Volk das Recht. Selbst die Taliban haben das Recht, für die Freiheit ihres Landes zu kämpfen."

Seine Universität ist nicht nur nach dem berüchtigten Haqqani-Netzwerk der Taliban benannt, auch viele Terror-Verantwortliche haben hier studiert. Sirajuddin Haqqani zum Beispiel: Der Chef des Haqquani-Netzwerks steht auf der FBI-Fahndungsliste. Auf sein Konto gehen einige der tödlichsten Selbstmordanschläge in Afghanistan. Er unterhält enge Beziehungen zu Al-Quaida und ist inzwischen der Innenminister der Taliban-Regierung.  
Ein weiterer Absolvent: Abdul Ghani Baradar. Er ist Taliban-Mitbegründer und steht auf der schwarzen Liste der Vereinten Nationen. Er unterschrieb den sogenannten Friedensvertrag mit den USA. Zuvor kam er aus einem pakistanischen Gefängnis frei.  

Geheimdienstes ISI spielt offenbar wichtige Rolle

Fahndungsplakat von Sirajuddin Haqqani.
Sirajuddin Haqqani, Chef des Haqquani-Netzwerks, steht auf der FBI-Fahndungsliste. | Bild: NDR

Der ehemalige Chef des pakistanischen Geheimdienstes ISI, General Asad Ahmed Durrani, berichtet im ARD-Interview bereitwillig über die Operationen in Afghanistan: "Ich kenne die Rolle des pakistanischen Geheimdienstes ISI. Wann immer etwas in Afghanistan passierte, ob nun die Sowjets dort waren oder die Amerikaner – wir haben unseren Kontakt zu den Widerstandsgruppen aufrechterhalten. Unsere Aufgabe besteht in erster Linie dafür zu sorgen, dass sie in der Lage sind, den Krieg so führen, dass die ausländischen Streitkräfte abziehen. Sonst könnten die – von Afghanistan aus – über die Grenze zu uns kommen." 

Rajiv Dogra war Indiens Botschafter in Pakistan. Heute recherchiert und schreibt er über die Taliban, ihre Beziehungen zum pakistanischen Geheimdienst und was die US-Amerikaner dazu sagen:  "Wenn ein US-amerikanischer General, der ständig mit den afghanischen Aufständischen konfrontiert ist, sagt, dass das Haqqani-Netzwerk der Taliban gefährlich sei und praktisch der pakistanische Geheimdienst ISI unter anderem Namen, dann gibt das Anlass zu ernsthafter Sorge. Das ist ein großes Problem, vor allem wenn das Haqqani-Netzwerk die gesamte Ausrüstung und Finanzierung vom ISI erhält und – noch wichtiger – strategische und taktische Hilfe."

Pakistans aktueller Geheimdienstchef erschien am vergangenen Wochenende in Kabul. Kurz darauf starteten die Taliban ihre letzte Offensive. Taliban-Kämpfer besiegten offenbar den Widerstand im afghanischen Panjshir-Tal, pakistanische Drohnen sollen dabei geholfen haben, heißt es in sozialen Medien. Pakistan dementiert und weist den Vorwurf zurück.

Autorin: Sibylle Licht, ARD-Studio Neu Delhi

Stand: 12.09.2021 19:50 Uhr

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