Mo., 30.01.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Philippinen: Präsident Duterte und die Opfer seines "Kriegs gegen Drogen"
Auf der Pritsche liegt der 18-jährige Ryan (Name geändert). Mit zwei Kugeln im Bein – Bilanz eines nächtlichen Überfalls. Er hat überlebt, doch sieben Freunde sind tot. In die Krankenstation einer Kirche kommen sonst nur die, die keinen Arzt bezahlen können. Ryan aber ist hierher aus dem Krankenhaus geflüchtet – aus Angst, die vermummten Unbekannten kommen zurück. "Wir waren unschuldig. Warum haben die auf uns geschossen, ohne Grund?", fragt er.
Über 7000 Tote in acht Monaten
Ryan und seine Freunde sind Opfer des sogenannten Kriegs gegen Drogen. Mehr als 7000 Tote in acht Monaten – laut Polizeistatistik. Doch erschossen werden nicht nur Dealer und Abhängige, auch Unschuldige sterben – selbst fünfjährige Kinder. "Ja, ein Freund hatte was mit Drogen zu tun gehabt. Der Rest aber nicht", erzählt Ryan. "Seit dem Ereignis habe ich große Angst, richtige Beklemmungen. Deshalb bin ich auch noch nicht zur Polizei gegangen. Man hört ja auch, dass manchmal Polizisten dahinter stecken sollen, wenn Leute mit Drogen erschossen werden."
Lage außer Kontrolle?
Der blutige "War on Drugs" – proklamiert und toleriert vom philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte. Seit dessen Amtsantritt herrscht staatlich tolerierte Anarchie. Menschen sterben durch die Polizei, durch Mitwisser, Auftragsmörder. Völlig undurchsichtig ist, wer wen warum aus dem Weg räumt. Menschenrechtler sehen die Lage außer Kontrolle. Duterte nicht: "Drei Kriminelle habe ich persönlich erledigt", sagt er. "Ich habe vier Millionen Drogenabhängige in meinem Land. Und solange es Dealer gibt auf den Straßen und Drogenbarone, solange wird das hier weitergehen. Bis alle getötet sind."
Doch Barone gehen der Polizei fast nie ins Netz, immer nur Fußvolk. Der Kampf gegen die Drogen, meist Crystal Meth, ist purer Populismus: martialisch, sichtbar, massenwirksam. So wahrt Duterte, der "starke Mann", seinen Rückhalt in der Bevölkerung. Dabei ist die Korruption im Land eine noch größere Heimsuchung – sowie die grassierende Armut, die der Nährboden für den Drogenkonsum ist.
Gestorben wird auf beiden Seiten
Dieser Krieg kennt nur Verlierer. Denn gestorben wird auf beiden Seiten. Der Einsatz für den Präsidenten endet für Polizist Romeo Mandapat in einem Hinterhalt. Er wird nur 23 Jahre alt. Rodrigo Duterte schickt einen Kranz. Mandapats Frau Aidillee, selbst Polizeianwärterin, steht vor den Trümmern ihres noch jungen Lebens: "Wir haben das gemeinsam begonnen, und ich habe gesagt: 'Wir stehen das gemeinsam durch. Du hast mich geheiratet und versprochen, dass wir beide unsere Uniform tragen.' Doch mit wem werde ich jetzt verheiratet sein?" Nicht auszuschließen, dass untere Dienstgrade wie Mandapat verraten oder geopfert werden. Nicht vom eigenen Chef oder den Kollegen, sondern von weiter oben, um Ermittlungen zu behindern. Selbst Duterte bezichtigt hunderte Polizeioffiziere sowie korrupte Richter, Beamte und Teile des Militärs, in den Drogenhandel verwickelt zu sein.
Polizei mit neuer Strategie
Jede Nacht gibt es etwa 30 Tote. Ein Gewaltexzess. Doch kaum mehr Leichen. Die Polizei fährt eine neue Strategie, zu ihrem eigenen Schutz: Sie schafft die Toten von der Straße. Unter dem Vorwand, sie hätten noch gelebt, landen die Opfer im Krankenwagen. Der Tatort: aufgeräumt. Keine lästigen Fragen, keine schlechte PR. Bis Dezember kam noch die Spurensicherung. Nun werden offenkundig Spuren beseitigt. Denn mehr und mehr Angehörige wenden sich an Hilfsorganisationen. Duterte gewährt seiner Polizei quasi Straffreiheit. Doch was geschieht, wenn seine Amtszeit nach sechs Jahren endet?
Kirche erwacht nur langsam aus der Schockstarre
Die Philippiner sind streng gläubig, die Gotteshäuser immer voll. Doch die Katholische Kirche im katholischsten Land Asiens war das ganze mörderische Treiben über auffallend still. Erst langsam erwacht sie aus der Schockstarre. Die Mehrheit ist zwar für Duterte, doch das tausendfache Meucheln lehnen viele ab.
Der Ehrwürdige Vater Carlos Ronquillo gewährt jetzt nicht nur Gewaltopfern wie Ryan Unterschlupf, er liest auch seinem Präsidenten die Leviten. Das Blutbad müsse ein Ende haben, sagt er: "Der Kern allen Übels ist die Armut. Und die verschwindet nicht durch Tötungen. Wer einen Krieg erklärt, der schafft ein Klima der Angst und macht sein Volk verwundbar."
Ein Geistlicher, der offen sagt, was er denkt – auch gegen den populären Präsidenten. In brutalen Zeiten wie diesen, fürchtet Vater Ronquillo, kann das sogar bedeuten: Nicht mal die Kirche ist mehr sicher. Ryan betet, dass dieser Tag nie kommt. Er hat schon zwei Kugeln im Körper.
Autoren: Uwe Schwering und Carsten Stormer, ARD-Studio Tokio
Stand: 13.07.2019 19:46 Uhr
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