Mo., 30.01.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Gambia: Wie ein T-Shirt die Demokratie bringt
In einer Hinterhof-Druckerei haben sie eine Revolution vorbereitet. "Gambia has decided – Gambia hat entschieden", ist seit der Wahl das Motto für die Menschen hier. Lamin Saidykhan hatte die Idee und ließ den Spruch auf T-Shirts drucken. Er und der Druckereibesitzer haben dabei ihr Leben aufs Spiel gesetzt. "Als ich gesehen habe, dass die Menschen unser T-Shirt tragen, hat mich das angetrieben", sagt Lamin Saidykhan: "Sogar Leute aus den USA und anderen Teilen der Welt. Die wollten auf einmal alle das T-Shirt haben." "Hashtag Gambia hat entschieden", ergänzt der Druckereibesitzer. "Das steht für frei sein, keinen Krieg führen. Wir brauchten ein Motto, das klar macht, wir wollen den Diktator loswerden."
Und jeder will das T-Shirt tragen
Und genau das ist ihnen gelungen. Vor ein paar Wochen noch konnte Lamin seine T-Shirts nur nachts und heimlich verteilen. Jetzt geht es ganz offen. Heute soll der neue Präsident offiziell vereidigt werden. Und jeder will das T-Shirt tragen. Dass der alte Diktator ihr Wahlergebnis nicht anerkennen wollte, sei kein Wunder gewesen, sagen sie. Dass sie den Wandel trotzdem geschafft haben, schon.
Und darauf sind sie stolz. Am Flughafen herrscht Aufbruchstimmung. Weil der neue Präsident sich im eigenen Land nicht sicher fühlte, hatte er Gambia verlassen. Jetzt freuen sich alle auf seine Rückkehr. "Früher war unser Leben von Angst bestimmt", sagt Lamin Saidykhan. "Du musstest ständig Angst haben, verhaftet zu werden. Ganz willkürlich. Jetzt atmen die Menschen auf. Wir sind erleichert."
Ende von 22 Jahren Diktatur
Und dann endlich kommt er – Adama Barrow, der neue Präsident. Das Ende von 22 Jahren Diktatur. Politische Erfahrung hat er eigentlich nicht. Im Gegenteil. Barrow hatte eine Zeitlang als Wachmann in England gearbeitet, zurück in der Heimat als Immobilienmakler und Bauunternehmer. In der Opposition war er eher ein stilles Mitglied. Still aber seriös, sagen seine Anhänger. Das war wohl sein Erfolgsgeheimnis. Er hat es geschafft, die Menschen und eine zersplitterte Opposition hinter sich zu vereinigen.
"Historischer Moment"
Einer der Architekten hinter dem Präsidenten ist Amadou Janneh. Der Universitätsprofessor arbeitet schon lange auf diesen Wandel hin. "Das ist ein historischer Moment für uns. Ich bin sehr bewegt", sagt er. "Es ist das erste Mal in unserer Geschichte, dass ein Präsident durch eine demokratische Wahl an die Macht kommt.“
Auf die neue Regierung wartet jetzt viel Arbeit. Auf sie setzen die Menschen all ihre Hoffnung. Vor allem die Jugend. Das Durchschnittsalter in Gambia liegt bei etwa 19 Jahren. Sie hätten wie in einem Käfig gelebt, sagen sie. Das soll sich nun ändern. "Ich bin begeistert. Das ist wie eine neue Ära. Wir sind frei", sagt eine junge Frau. "Wir haben uns entschieden. Wir lieben unser Land und wir wollen unserem Präsidenten beim Wiederaufbau helfen", freut sich ein junger Mann.
Rückkehr aus dem Zwangs-Exil
Amadou Janneh ist erst vor drei Tagen aus seinem fünfjährigen Zwangs-Exil zurückgekommen. Unter Diktator Jammeh war er für kurze Zeit Informationsminister. Weil er das System von innen heraus ändern, ein bisschen mehr Presse- und Meinungsfreiheit einführen wollte. Seine Reformversuche missfielen dem Machthaber. Amadou Janneh wurde bald wieder entlassen. Er entschloss sich zum Widerstand. Und der begann auch bei ihm mit einem T-Shirt.
"Ich fing an, T-Shirts mit der Aufschrift 'Ende der Diktatur' zu verteilen", erzählt er. "Das war zu der gleichen Zeit wie der arabische Frühling. Ich hatte die Hoffnung, das könnte auch bei uns der Anfang eines Aufstands sein." Doch dazu kam es nicht. Stattdessen wurde er verhaftet. Hochverrat. Lebenslang, lautete das Urteil.
Amadou Janneh: Zurück an den Ort seiner Alpträume
Jetzt will Amadou Janneh den Neuanfang. Und das bedeutet für ihn aufarbeiten und vergeben. Deshalb will er an den Ort seiner Alpträume zurück. Zurück ins Gefängnis. Weil er wieder Einfluss hat, öffnen die Gefängniswärter widerwillig ihre Tore. Es sind seltene Einblicke. Wir sind die ersten Journalisten, die in einem Gefängnis in Gambia drehen dürfen. Seine ehemaligen Peiniger führen Amadou Janneh in seine alte Zelle. Sieben Monate war er hier in Einzelhaft. Wurde getreten und erniedrigt. Durfte seine fünf Quadratmeter nicht ein einiges Mal verlassen. Er wäre fast durchgedreht, sagt er: "Ich habe Ameisen gezählt, um mich zu beschäftigen, um den Verstand nicht zu verlieren. Ich hoffe, dass nie jemand das durchmachen muss, was ich durchmachen musste. Selbst diejenigen, die mir das angetan haben nicht. Wir müssen jetzt ein neues Kapitel in Gambia aufmachen. Wir müssen einander besser behandeln und aus den Fehlern der Vergangenheit lernen."
Amadou Janneh wurde nach zwei Jahren frei gelassen, weil Hilfsorganisationen wie Amnesty International sich für ihn eingesetzt hatten. Er wolle, dass selbst seine Peiniger keine Angst haben müssen, sagt er. Es sei wichtig, dass jetzt nicht Hass und Wut über die Vergangenheit überwiegen. Jetzt gehe es um die Zukunft.
Neue Regierung muss Arbeitsplätze schaffen
Lamin, der Erfinder des Hashtags, weiß, was er sich für seine Zukunft wünscht. So wie er haben etwa 40 Prozent der Jugend in Gambia keine Arbeit. Auch deshalb hat sich die Zahl der Menschen, die aus Gambia in Richtung Europa aufbrechen, in den letzten vier Jahren verfünffacht. "Jeder sucht hier einen Job", sagt Lamin Saidykhan: "Aber die Jugend wurde bisher einfach vernachlässigt. Die neue Regierung muss Arbeit schaffen. Dann werden die Leute auch nicht mehr weggehen. Wir haben ja keinen Krieg in Gambia."
Die wohl friedlichste Revolution der Geschichte
Es ist viel zu tun. Und Amadou Janneh will dabei helfen. In seinem Heimatdorf feiern sie den Rückkehrer wie einen Helden. Hier ist er quasi der Präsident. "Wir sind bereits ein Vorbild in Afrika", erzählt er. "Wir haben einen Diktator durch demokratische Wahlen beseitigt. Und das ohne Blutvergießen. Das kleine Gambia macht vor, wie ein friedlicher Wandel funktioniert."
Es ist wohl die friedlichste Revolution der Geschichte, sagen sie stolz. Und ja sie kommt aus Afrika.
Autorin: Shafagh Laghai, ARD-Studio Nairobi
Stand: 13.07.2019 19:46 Uhr
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