So., 27.03.22 | 19:15 Uhr
Das Erste
Südkorea: Alltag mit zwölf nordkoreanischen Pflegekindern
Sie sind sie ein unschlagbares Team. Taehoon Kim hat seine Familie zum Training versammelt. Bowling stärkt den Teamgeist. Ha-ryong, der Älteste, steht mit 28 längst auf eigenen Beinen. An den Schultern von Papa hängt der zehnjährige Junsung. Pflegevater Taehoon lebt in Seoul mit zwölf Kindern aus Nordkorea. Sie halten zusammen und sie halten auch einiges aus: "Dann heißt es: 'Nehmt Euch in Acht vor denen, wenn sie in der Gegend sind. Wer weiß, welche Erziehung diese Kinder in Nordkorea bekommen haben. Haltet mal lieber die Türen und Fenster geschlossen. Die sind gefährlich'", erzählt Taehoon Kim.
Im Haushalt von Taehoon Kim leben Kinder aus der fremden Welt jenseits der Grenze. Geflohen aus Nordkorea, oft ohne die Eltern. Ihre Fluchtgeschichten haben sie in Bildern verarbeitet. Zusammen mit ihrem Pflegevater leben sie in einer 13-köpfigen Patchwork-Familie. "Da gibt es keinen Unterschied zu jeder anderen Familie. Wir sind wie Brüder. Einer stammt sogar aus demselben Dorf wie ich, das ist ein Wunder", erzählt Cheong-Iyong
23 Pflegekinder in 15 Jahren
Ha-ryong war der erste, der hier ein neues Zuhause fand. Er war erst zwölf, als er mit seiner Mutter aus Nordkorea in den Süden kam. Nach drei Monaten in staatlicher Obhut fand die Mutter eine Arbeit, allerdings weit entfernt. Der Junge musste ohne sie in der fremden Umgebung zurechtkommen: "Einkaufen, den Bus nehmen, die grundsätzlichen Dinge. Alles war sehr schwierig für mich. Es war praktisch nie Essen im Haus. Stellen Sie sich einen Viertklässler vor, der quasi alleine lebt und alles selbst erledigen muss."
Es gab bis dahin nur eine Person, die der Junge im Süden näher kennengelernt hatte. In der Erstunterbringung war er Taehoon begegnet. Der arbeitete dort als Freiwilliger. Später wollte er nachschauen, was aus Ha-ryong und der Mutter geworden war. "Ich trat ein und sah das Kind mit dem Gesicht auf dem Boden liegen. Er war vor dem Fernseher eingeschlafen. Völlig allein. Ich dachte: Wann hat er zum letzten Mal etwas zu essen bekommen?", erinnert sich Taehoon. Er haben nicht anders gekonnt als zu helfen. Mit dem Einverständnis der Mutter nahm er den Jungen als Pflegekind an.
Schon bald wurde Taehoon gefragt, ob er weitere Kinder aus Nordkorea aufnehmen könnte. Insgesamt 23 in 15 Jahren. Täglich muss er zum Markt, um kiloweise Lebensmittel zu kaufen für seine Söhne, wie er sie nennt. Für die Kosten kommen inzwischen die Behörden auf. Sie sind dankbar, dass jemand den Kindern hilft, ihren Platz im Süden zu finden.
"Das ist meine Aufgabe, und das sind meine Kinder"
Geum-sung will heute die Tränen zurückhalten. Er hat ein Videotelefonat mit seiner Mutter. Sie wurden auf der Flucht getrennt. Ihren Aufenthaltsort nennen wir aus Sicherheitsgründen nicht. Erst seit Kurzem haben sie wieder Kontakt. "Jetzt sind wir schon seit drei Jahren getrennt. Früher waren wir immer zusammen. Am Anfang habe ich meine Mutter vermisst und war gleichzeitig auch wütend auf sie. Aber seit wir telefonieren können, hat sich die Sehnsucht gebessert."
Die Mutter von Pflegevater Taehoon ist gekommen, um mit ihm das Abendessen vorzubereiten. Jahrelang war Funkstille zwischen den beiden. Mi-hwan Jin wollte nicht, dass er seine Verlagskarriere aufgibt – wegen der Kinder aus Nordkorea. Aber ihm sei das wichtiger sei alles andere, erzählt sie. Das habe sie akzeptieren müssen: "Ganz ehrlich: Wie sollte ich die Kinder von Beginn an lieben? Aber er sagte mir, wenn ich hierherkommen wolle, dann müsse ich das. Ich dürfe die Kinder auch nicht nach schlimmen Erlebnissen fragen. Sonst solle ich besser gar nicht vorbeikommen."
Am Abend feiern sie mit Freunden das koreanische Vollmondfest. Sich um die Kinder zu kümmern, sei das, was er am besten könne, sagt Taehoon über sich selbst. Deshalb sei dieses Leben das Richtige für ihn: "Das ist meine Aufgabe, und das sind meine Kinder. Ich trage die Verantwortung für sie. Wer sonst sollte das tun?" Niemand gebe ihm so viel wie sie, meint Taehoon. Seine zwölf Pflegekinder aus Nordkorea sehen es umgekehrt genauso.
Autoren: Ulrich Mendgen und Diane Kämpf, ARD-Studio Tokio
Stand: 29.03.2022 11:40 Uhr
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