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Südkorea – Wer hat Angst vor Nordkorea?

Südkorea: Angst vor Nordkorea? | Bild: NDR

Geisterstunde in Siam-ri – ein Dorf auf der südkoreanischen Seite der Grenze. Nach Sonnenuntergang dreht der Feind im Norden auf. Psychoterror, seit Monaten geht das so. "Diese Geräusche sind so furchtbar, dass ich kaum schlafen kann", sagt eine Bewohnerin. Ein Mann erzählt: "Die Männer haben angefangen zu trinken und die Frauen nehmen Schlaftabletten." Und ein weiterer Bewohner sagt: Es nervt tierisch. Das macht uns krank."

Nordkoreaischer Lautsprecher: Stresstest für Menschen und Tiere

Der Alltag in dem 100-Seelen-Ort ist inzwischen die Hölle, sagen die Bewohner. Dorfvorsteher Lee Tae-song und Landwirt Lee Hyun-goo haben ihr ganzes Leben in Siam-ri verbracht, haben viel Auf und Ab in den Beziehungen zwischen Nord- und Südkorea miterlebt. Aber dieser neue Angriff von der anderen Seite geht an die Substanz. Ein nordkoreanischer Lautsprecherturm zielt direkt auf ihr Dorf. "So geht das die ganze Nacht. Bei diesen Geräuschen kann niemand schlafen. Vor allem die älteren Leute machen kein Auge mehr zu", sagt Lee Hyun-goo.

Ein dauerhafter Stresstest für die Menschen – und für die Tiere. Landwirt Lee züchtet Hirsche und Ziegen. Auch sie leiden unter der ständigen Beschallung aus Nordkorea, erzählt er. Die Lage in die Grenzregion – so brenzlig wir seit Jahrzehnten nicht. Heute bekämpfen sie sich mit Schallwellen. Aber wer weiß, was morgen folgt.

Den knapp 20 Kilometer entfernten Friedenspark ließ Südkorea einst als ein Mahnmal errichten. Gedacht um Touristen einen gefahrlosen Blick auf die Grenze zu ermöglichen.Die Mitarbeiterin Lee Wonkyung bekommt hier nicht nur die gespenstische Laute zu hören. In der Nähe schießen echte Waffen. "Das war Artillerie-Feuer von unseren Soldaten, wahrscheinlich eine Übung. Wenn ich das höre, fühle ich mich eigentlich beschützt. Aber vergangenen Freitag knallte es während der Arbeit mehrmals hintereinander. Da war ich mir ehrlich gesagt nicht mehr sicher, ob das noch eine Übung war, oder schon Krieg", erzählt Lee Wonkyung.

Pufferzone zwischen Nord- und Südkorea: Eine der gefährlichsten Grenzen der Welt

Grenzregion zwischen Süd- und Nordkorea an einem Fluss.
Nach Sonnenuntergang dreht der Feind im Norden Lautsprecher auf.  | Bild: NDR

Gefechtsübungen an der Pufferzone zwischen Nord- und Südkorea, einer der gefährlichsten Grenzen der Welt. Am Sperrzaun hinterlassen Besucher Friedensbotschaften. Doch die Verständigung beider Koreas bleibt ein frommer Wunsch. Der Norden präsentiert sich in letzter Zeit selbstbewusster, aggressiver und feindseliger. Für Diktator Kim Jong-un ist der Süden inzwischen sogar per Verfassung "Feind Nummer 1". Sein Partner heißt Russland. Bilder sollen nordkoreanische Soldaten auf russischem Gebiet zeigen. Bis zu 15.000 kämpfen angeblich gegen die Ukraine.

Die Einheiten, die Kim Jong-un in den Krieg schickt, kennt Lee Eung-gil nur allzu gut: Er diente früher selbst bei den Spezialkräften in Nordkoreas Armee. Dann floh er in den Süden. "Ich hätte erwartet, dass sie die am besten ausgebildeten Leute nach Russland schicken. Aber als ich das Video gesehen habe, dachte ich mir, die sehen alle aus wie ganz neue Rekruten! Wie Anfänger!" Unterschätzen dürfe man die Nordkoreaner aber nicht, findet Ex-Soldat Lee. Der Norden verfüge auch über sehr gut trainierte Soldaten. Er geht davon aus, dass Teile seiner früheren Einheit in Russland mitkämpfen. "Im Kriegsfall haben sie die Aufgabe, den Feind im Hinterland anzugreifen. Mit Ablenkungsmanövern, Selbstmordattentaten, biochemischen Waffen oder gezielten Mordanschlägen", sagt Lee Eung-gil.

Südkoreas Hauptstadt Seoul liegt nur rund eine Autostunde von der Grenze entfernt. Seit 1953 gilt Waffenstillstand, doch die beiden Seiten befinden sich offiziell noch im Krieg. Nordkoreas Armee fehlt es an Erfahrung in Fronteinsätzen. Verteidigungsexperten gehen davon aus, dass die nordkoreanischen Truppen jetzt in Russland dazulernen. Auch dank neuer Waffentechnik. "Wenn Kim Jong-un Putin weiterhin unterstützt, wird Putin sich im Gegenzug auch erkenntlich zeigen. So entsteht eine Situation, die zu einer Bedrohung für uns wird. Deshalb nehmen unsere Regierung und unser Militär die Drohungen Nordkoreas ernst. Aber viele Bürger finden auch, dass die südkoreanische Regierung Nordkorea nicht unnötig provozieren sollte", sagt Experte Moon Sung-mook.

Seine eigenen Lautsprecher-Durchsagen an der Grenze hatte Südkorea vor Jahren gestoppt. Doch in diesem Sommer nahm es sie wieder auf. Eine Spirale gegenseitiger Provokationen. Die leidgeplagten Anwohner im Süden richten daher eine Forderung an ihre eigene Regierung. "Hört bitte auf, Nordkorea zu beschallen", sagt Dorfvorsteher Ton Lee Tae-song. Denn dann wird vielleicht auch der Norden seine Lautsprecher abschalten.

Autoren: Ulrich Mendgen/Thorsten Iffland, ARD-Studio Tokio

Stand: 15.12.2024 14:00 Uhr

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