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China: Frauen feiern Scheidungspartys

China: Frauen feiern Scheidungspartys | Bild: NDR

Eine Hochzeit? Nein, Qian Jin feiert ihre Scheidung. Sie hat ihrem Mann nach sechs Jahren den Laufpass gegeben. Jetzt spielt sie mit einem Freund ihr Eheleben nach, für einen Videoclip in den Sozialen Medien. "Ich möchte anderen sagen: wenn du mit deinem Mann nicht zusammenleben kannst, musst du dich selbst glücklich machen. Heiraten ist zum Glücklichsein und Scheidung auch", sagt Qian Jin.

Qian Jin hatte schon mit Mitte 20 genug Geld verdient, hatte schon eine Wohnung und ein Auto. Geheiratet hat sie damals aus Liebe. Aber ihr Mann fand keinen Job und hatte Schulden. Immer wieder stritten sie: "Ich kam von der Arbeit nach Hause und er spielt den ganzen Tag Computerspiele. Ich habe ihn gefragt, warum er nicht zu dem Vorstellungsgespräch gegangen war, das ich ihm vermittelt hatte. Er fühlte sich nicht mal schuldig. Er sagte immer, dass ich eben ehrgeiziger sei."

Eheleben im Videoclip

Er schlug sie, erzählt sie. Danach habe er um Verzeihung gefleht. Fotos von blauen Flecken und weiteren seelischen Verletzungen aus der Ehe kleben sie an das Hochzeitskleid. Qian Jins Eltern helfen bei den Dreharbeiten mit. Anders als viele andere der älteren Generation unterstützen sie die Scheidung der Tochter. "Als ich davon gehört habe, brach es mir das Herz. Aber ich hoffe, sie kann ein neues Kapitel anfangen. Ich wünsche mir sehr, dass sie wieder mein glückliches Mädchen wird", sagt Vater Gao Xiaoming.

Scheidungen werden oft als Versagen bei der Erziehung gewertet. Mutter Zhang Lijie macht sich selbst Vorwürfe: "Wenn ich an all das denke, möchte ich mich am liebsten selbst schlagen. Warum habe ich es so weit kommen lassen für meine Tochter? Sie ist so ein gutes Kind. Ich bin sehr traurig."

Eheschließungen in China sinken, Scheidungsrate steigt

Vor dem chinesischen Standesamt spielen sie die ersten Tage ihrer Ehe nach. Es ist wenig Betrieb bei der Behörde. Die Zahl der Eheschließungen in China sinkt beständig. Die Scheidungsrate dagegen steigt. Laut Statistik sind es meistens die Frauen, die sich trennen wollen. "Heutzutage denken immer mehr Frauen, dass die Ehe nicht so wichtig ist, weil wir gar nicht finden, was wir wollen. Wir verdienen unser eigenes Geld, wir bekommen keine emotionale Unterstützung von unserem Ehepartner und wir werden sogar zum Kindermädchen des Mannes", sagt Qian Jin.

Die Erwerbsquote von Frauen in den Städten ist hoch. Eine Scheidung treibt moderne Frauen nicht mehr in den Ruin. Qian Jin hat sogar die Schulden ihres Mannes finanziert, darum filmen sie gerade vor einer Bank. Echte Tränen und Inszenierung - alles vermischt sich. "Sie sind wie meine Tränen der vergangenen acht Jahre Beziehung…. Als ob Gott wüsste, dass diese acht Jahre schlimm waren", sagt Qian Jin.

Trend in China: Scheidung in den sozialen Medien zelebrieren

Frauen stehen nebeneinander und feiern
Scheidungs-Partys sind keine Seltenheit. | Bild: NDR

Die Scheidung in den sozialen Medien zu zelebrieren ist ein Trend in China. Scheidungs-Partys sind keine Seltenheit. Konfetti, Sekt und Luftballons, um die neue Freiheit zu feiern. Heute will auch Qian Jin die Scham der Trennung überwinden. Lange Zeit hatten geschiedene Frauen in China einen schlechten Ruf. Und nicht-einvernehmliche Scheidungen sind schwer durchzusetzen. Vor Gericht werden - nach offiziellen Zahlen – nur drei Viertel der Anträge genehmigt. "Das ist politisch gewollt. Richter haben viele Gründe eine Scheidung abzulehnen. Zum Beispiel wenn ein Mann im Gericht beteuert, dass es ihm leid tut. Der Richter weiß nicht, dass wir Frauen das 365 mal im Jahr hören. Es gibt ein altes chinesischen Sprichwort: Es ist besser einen Tempel zu zerstören als eine Ehe", erzählt Qian Jin.

Im Pekinger Künstler-Viertel bekommt die 35-jährige Qian Jin viel Zuspruch für ihre Scheidungs-Feier. Vor allem junge Frauen helfen engagiert mit, die Traumata der Ehe zu bewältigen. "Ich finde, so eine Feier ist zu Recht beliebt. Frauen sollten vor allem sich selbst lieben", sagt Zhang Hui. Sonia Wang ergänzt: "Ich denke, man soll zusammen sein, wenn man glücklich ist. Wenn man unglücklich ist, sollte man sein eigenes Glück suchen." Und Miao Ruoxuan meint: "Durch diese Zeremonie kann sie all ihre unterdrückten Emotionen rauslassen und fröhlicher und selbstbewusster werden."

Politischer Feminismus ist in China verboten. Ein bisschen Frauensolidarität leben sie dann eben so. "Auch wenn ich weine. Ich bin glücklich. Alle beschenken mich mit guten Wünschen und helfen mir abzuschließen. Ganz vielen Dank", sagt Qian Jin.
Die Fesseln altern Normen wollen sie abwerfen. Mit wachsendem Wohlstand in den Städten sucht die jüngere Generation vor allem ihr individuelles Glück.

Autorin: Tamara Anthony, ARD-Studio Peking

Stand: 15.12.2024 21:37 Uhr

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