Mo., 04.07.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Algerien/Westsahara: Der vergessene Konflikt – Seit Jahrzehnten auf der Flucht
Die algerische Wüste im Südwesten des Landes ist karg, steinig und heiß. Seit fast vier Jahrzehnten lebt Asman Haida in dieser Ödnis. Der 58-Jährige träumt von seiner alten Heimat – doch die gehört nun zu Marokko: "Marokko hat unser Land besetzt, das hier ist doch nicht unsere Erde. Wir müssen dafür kämpfen,unser Land zu befreien."
Fast 40 Jahre im Flüchtlingslager
Im Lager Smara harren seit fast 40 Jahren Tausende Flüchtlinge aus. Die Sahraouis ("Menschen der Wüste") fordern ihr Recht auf Selbstbestimmung, doch die Welt hat sie vergessen. Asman kämpfte mit der Befreiungsbewegung der Sahraouis, den Polisario, gegen Marokko. Er bringt uns zu einer befreundeten Familie. Sie sind geflohen, als Spanien die Kolonie Westsahara aufgab und danach Marokko einen Großteil des Gebiets beanspruchte. Ihre Familie wurde auseinandergerissen, einige Verwandte blieben auf marokkanischer Seite. "Ich wollte nicht mit den Marokkanern zusammenleben, das sind doch Besatzer. Erst wenn sie unser Land verlassen, gehe ich zurück", sagt Anasma Arahali.
Wir geben Anasma Arahali unser Mobiltelefon, damit sie ihre Mutter anrufen kann – die ist auf der marokkanischen Seite geblieben. Seit einem halben Jahr haben sie nicht mehr miteinander gesprochen. "Wenn ich mit ihr rede, nimmt mir das den ganzen Schmerz. Plötzlich fühle ich mich so, als ob sie direkt neben mir sitzen würde", sagt Anasma Arahali.
Asman und sein Freund erklären die Lage der Westsahara: auf einer Seite hat Marokko das Sagen, auf der anderen die Polisario. Eine lange Grenze zerschneidet die Wüste. Nach dem Abzug der Spanier schickte Marokko Hunderttausende in das Gebiet der Saharaouis, es ging um Rohstoffe, Phosphat, Erdöl. Dabei hatten die Vereinten Nationen ein Referendum über die Zukunft der Westsahara gefordert – bislang ohne Erfolg.
"Wie damals an der Berliner Mauer"
Jahrelang kämpfte die Polisario gegen Marokko, dann schwiegen die Waffen – und seitdem ist die Westsahara durch einen 2.000 Kilometer langen Sandwall geteilt.
Genau dorthin, an die Grenze in der Wüste, fahren wir mit Asman. Er ist erstaunlich gut gelaunt. "Mann, ich freue mich, weil ich so doch meiner alten Heimat auf der anderen Seite ein wenig näher komme!"
Es ist eine Fahrt an eine ziemlich gefährliche Grenze. Mehr als sieben Millionen Landminen sollen hier im Wüstensand vergraben sein – höchste Vorsicht ist geboten. Marokkanische Soldaten beobachten uns misstrauisch. Das ist hier wie bei Euch damals an der Berliner Mauer, sagen uns die Polisario-Kämpfer. "Wir sind auf alles vorbereitet, die Lage ist nach wie vor sehr angespannt, man muss mit allem rechnen", sagt Mohamed Salem. Junge Spanier pflanzen Papierblumen in den Wüstensand – aus Solidarität mit den Saharaouis. Noch immer töten und verletzen die Minen hier Menschen. Absurd, grotesk wirkt dieser unendliche Sandwall.
Polisario pochen auf Referendum
Den Waffenstillstand in der Wüste überwacht eine UN-Mission. Als Generalsekretär Ban Ki Moon diese im Frühjahr besucht, spricht er im Zusammenhang mit Marokko von "Besatzung" – ein diplomatischer Fauxpas. Daraufhin hat Marokko 81 UN-Mitarbeiter des Landes verwiesen und gedroht, die Blauhelm-Mission ganz zu beenden.
Die Exilregierung der Polisario begrüßt die klaren Worte von Ban Ki Moon, aber sie pocht auf das von der UN zugesicherte Referendum in der Westsahara – sonst sei nichts auszuschließen. "Die Rückkehr zum bewaffneten Konflikt halten wir uns offen. Aber dann ist Marokko dafür verantwortlich, weil es sich nicht an die Vereinbarungen mit der UN hält", erklärt Mhamed Khadad von der Exilregierung der Polisario.
Nun wird in der Wüste wieder mit den Säbeln gerasselt, Algerien unterstützt dabei die Polisario. Auf marokkanischer Seite durften wir trotz mehrfacher Anfrage nicht drehen, aber auch dort wird hochgerüstet. Der Konflikt spitzt sich zu. Die Polisario sieht in der Eskalation wohl die einzige Chance, Beachtung zu finden.
Gestrandet im Wüstensand
International findet Marokkos Anspruch auf die Westsahara nur wenig Unterstützung. Doch das hilft den Menschen in den Lagern kaum – auch nicht der Familie von Anasma Arahali. Ihre Töchter machen sich auf den Weg zur Lebensmittel-Verteilung – die 160.000 Flüchtlinge hängen ganz am Tropf internationaler Hilfe. Sie können sich in der kargen Wüste nicht selbst versorgen. Jeden Monat gibt es dasselbe: Mehl, Reis, Linsen – die Menschen erzählen uns von Mangelernährung. Die Notrationen werden immer kleiner, denn die Geberländer schauen mehr auf gewaltsame Konflikte wie in Syrien.
Bei der Familie beobachten wir verwundert, wie der Vater Papier und Karton in kleine Stücke zerreißt. Damit werde er nun seine Ziegen füttern, erklärt er uns, etwas anderes könnten sie sich nicht leisten. Unbarmherzig und trist ist ihr Leben in der Wüste. "Klar ist das hier sehr hart. Die Trockenheit, die Hitze, die Trennung von den Verwandten. Aber ich persönlich ziehe das einem Leben unter den Marokkanern vor", sagt Ambarek Argueibi
Seit 40 Jahren leben sie so, gestrandet im Wüstensand. Einer der längsten Konflikte Afrikas hält sie in dieser Ödnis gefangen.
Autor: Stephan Schaaf, ARD-Studio Madrid
Stand: 12.07.2019 05:15 Uhr
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