So., 21.03.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
Argentinien: Auswilderung von Jaguaren
Sie heißt Isis, wie die Göttin der Geburt. Das zehnjährige Jaguar-Weibchen ist hier, weil sie für Nachwuchs sorgen soll. Während sie selbst noch in Gefangenschaft groß wurde, sollen ihre Jungen irgendwann ausgewildert werden. "Wir haben Jaguare – wie Isis – aus Zoos hierhergebracht, um mit ihrer Hilfe Junge zu züchten. Unser Ziel ist es, immer mehr Nachwuchs, der in diesen Käfigen aufwächst, auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten", erklärt Sofia Heinonen von der Stiftung "Rewilding Argentina". Gerade ist Fütterung. Es gibt Wildschwein. Jaguare sind die größten Raubkatzen Südamerikas. Sie ernähren sich ausschließlich von Fleisch. Die ältere Dame muss den Leckerbissen hier nicht selbst jagen. Bald schon,so die Hoffnung, soll Isis Nachwuchs auf die Welt bringen. Es wäre ihr Beitrag in diesem gigantischen Auswilderungsprojekt, das von Sofia Heinonen geleitet wird. Die Biologin wurde anfangs dafür belächelt: "Zu Beginn hat niemand hier in der Gegend unser Vorhaben ernst genommen. Und das obwohl die Menschen den Jaguar grundsätzlich positiv sehen."
Unzählige Arten werden auf Auswilderung vorbereitet
Die Rückkehr zur Wildnis ist detailliert geplant. Unzählige Arten werden auf das Leben in freier Wildbahn vorbereitet. Auch in den Flüssen. Hier werden Markrelen ausgesetzt – Futter für eine weitere Spezies, die vorm Aussterben gerettet werden soll: Riesenotter. Teil der Auswilderungsstrategie ist die Jagd. Die jungen Otter müssen die Makrelen selbst fangen. Um fit zu sein für das Leben in Freiheit. Kurz untertauchen – und nach wenigen Sekunden: die erste Beute. Für die Biologin Sofia ist klar: Diese Tiere können bald entlassen werden. “Wir wildern, Jahrzehnte nach der Ausrottung, die ersten dieser Raubtiere in argentinische Gewässer aus. Das war immer unser großer Wunsch."
In dem Feuchtgebiet Esteros del Iberá sind Jaguare – und viele andere Arten – seit den 1970er-Jahren ausgestorben. Damals rotteten Landwirte und Jäger die seltenen Tiere aus. Vor mehr als 20 Jahren entdeckte der US-amerikanische Multimillionär Douglas Tompkins das weitläufige Sumpfgebiet. Und kaufte es kurzerhand auf. Sein Ziel: Die Natur wieder Natur sein lassen. Gemeinsam mit Sofia und anderen Biologen startete er das Projekt. “Viele Anwohner dieser Gegend hatten nicht verstanden, warum wir dieses Land gekauft haben. Ein US-Amerikaner, der riesige Grundstücke erwirbt, um sie zu Renaturieren? Diesen Plan hat die lokale Bevölkerung nicht geglaubt. Die dachten an eine Verschwörung und dass dahinter ein heimliches Geschäft stecke", erinnert sich Sofia Heinonen.
Aber dahinter steckte nur der schlichte Wunsch, die Welt zu verbessern. Der Erfolg ist bereits sichtbar. Die Tierwelt – zurück. Auch Sumpfhirsche haben sie ausgewildert.
Öko-Tourismus ist Alternative für viele Viehhirten
Teil des Projektes ist mittlerweile auch, Touristen die Landschaft zu zeigen. Gauchos – die Viehhirten der Region – führen Neugierige durch die neue Wildnis. "Die Besucher gehen mit einer schönen Erinnerung von hier weg. Wir versuchen, sie von dieser Region zu begeistern", erzählt Hector Ortiz. Ein Urlaubsabenteuer hoch zu Pferde. Mitten durchs Feuchtgebiet. Mit echten Cowboys. Die aber längst auch Ranger im neu geschaffenen Nationalpark sind. Denn der Öko-Tourismus ist hier eine Alternative für viele Viehhirten – und ermöglicht ihnen ein Einkommen, ohne dass die Natur darunter leidet.
Die riesengroßen Jaguar-Gehege aber sind weit weg von den Touristen. Gleich neben Isis' Käfig geht das Team um Sofia in die entscheidende Phase ihres Projektes: Die ersten Raubkatzen sollen in Kürze ausgewildert werden. Jetzt darf nichts schief laufen zwischen Mensch und Tier. Die vierjährige Juruna und ihre beiden Jungen sollen bald schon draußen – ohne menschliche Hilfe – überleben. Sofias Kollegen bringen Kameras an. Seit Jahren haben sie auf diesen Tag hingearbeitet. "In dem großen Käfig wurde ihnen das Jagen antrainiert. Sie wissen jetzt, wie sie ihre Beute erlegen müssen. Sie sind außerdem an uns Menschen gewöhnt, damit es später in Freiheit keine Konflikte mit der lokalen Bevölkerung gibt", erklärt Heinonen. An Bildschirmen verfolgen sie, was passiert. Für alle hier geht ein Lebenstraum in Erfüllung, wenn die Wiederansiedlung gelingt.
Erste Jaguare in freier Wildbahn
Anfangs tummeln sich Juruna und ihre Jungen noch innerhalb des Käfigs. Dann beginnen sie ihre Reise. "Wir, die Gauchos und alle Nachbarn sind voller Freude. Wir zeigen der Welt: Bei uns leben wieder Jaguare. Ohne sie in freier Wildbahn können sich auch die Menschen hier nicht wirklich frei fühlen", sagt Heinonen.
In der Nacht wagen die Tiere den Schritt in die Freiheit. Sofia und ihr Team verfolgen jede Bewegung – noch. Dann verliert sich die Spur von Juruna und ihren Jungen in der Wildnis. Und genau das war ja auch der Plan. Sie sind die ersten frei freilebenden Jaguare seit 50 Jahren – hier – in den Esteros del Iberá.
Autor: Matthias Ebert, ARD Studio Rio de Janeiro
Stand: 21.03.2021 20:30 Uhr
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