Mo., 08.08.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Belgien – Sightseeing in Molenbeek?
Wo früher niemand hingeschaut hat, schlendern jetzt Touristen. Stadtführer Erik Nobles bietet Rundgänge an durch das berüchtigte Molenbeek. Er kann sich kaum retten vor Anfragen aus aller Welt. "Leute lieben es, ein bisschen Angst zu haben – gerade wenn es eigentlich nicht gefährlich ist. Ein bisschen Horrortourismus gibt es. Ich habe in diesem Teil von Brüssel jetzt viel mehr Führungen bekommen. Das ist so das neue Viertel, wo man sein will. So Horrortourismus."
Das Terrornest Molenbeek
Führung durch das Terrornest – Terrornest so haben die Medien Molenbeek getauft. Inga aus Polen oder Ali aus Italien sind dabei. Moderne junge Leute, sozial engagiert und neugierig. Bunt ist es in Molenbeek, exotisch, im besten Fall Multikulti – doch nur jeder zweite hat Arbeit, Kriminalität gehört zum Alltag. Keine Städtereise wie jede andere. "Sicher. Am Anfang hatte jeder von uns Angst hierher zu kommen. Aber jetzt wo wir hier sind, merke ich wir müssen uns nicht fürchten, die Menschen hier sind nicht so schlecht, wie man denkt", erzählt der Tourist Ali Razar. Inga Koralewska fügt hinzu: "Auf der Tour gab es eine komische Situation. Mir hat jemand zugewunken und dann hat er gerufen. Hi, hier gibt es keine Terroristen."
Sightseeing mit Gruselfaktor
In der Nachbarstraße gab es aber Terroristen. In diesem Haus hatte sich der Paris-Attentäter Salah Abdeslam versteckt – hier wurde er bei einer Großrazzia festgenommen. Sightseeing mit Gruselfaktor. Für die Molenbeeker könnte der Imageschaden nicht größer sein. Karim Naciri, zum Beispiel, Belgier mit marrokanischen Wurzeln. Der 18jährige liebt seinen Stadtteil, hält Molenbeeker Alltagsszenen in seinem Zeichenheft fest. Dass mehr Reisegruppen kommen stört ihn nicht, und der Terrortourismus? "Also ganz ehrlich, den finde ich überhaupt nicht gut. Was soll das bringen? Wenn sie unsere Sehenswürdigkeiten anschauen wollen, unsere Stadt, ok, aber dahin zu gehen, wo die Razzien waren, wo alles passiert ist, was bringt denn das? Das ist nutzlos und dumm", findet Karim Naciri.
Kameras ist man in Molenbeek mittlerweile gewöhnt. Auch Karim und seine Freunde wurden schon fotografiert von japanischen Touristen, erzählt er. Unsere Reisegruppe geht nicht dorthin, wo man die Terroristen festgenommen hat. Darauf achtet ihr Reiseführer und er schärft ihnen ein, Abstand zu halten. "Der Mensch hinter dem Fotoapparat ist doch immer stärker, als der Mensch, von dem er das Bild nimmt. Lieber keine Fotografie, denn wenn man von jemandem ein Bild nimmt, muss man nach einer Genehmigung fragen", sagt Erik Nobles.
Molenbeek – das berühmt berüchtigte Migrantenghetto. Die Heimat der belgischen IS-Terroristen scheint auf einmal hip zu werden – zumindest für manche Besucher auf der Suche nach dem neuen Kick.
Autorin: Bettina Scharkus/ARD Studio Brüssel
Stand: 12.07.2019 11:33 Uhr
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