So., 30.08.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
China: Die Mittelschicht entdeckt das Campen
Der Trend zeichnete sich schon vor Corona ab, aber jetzt geht es richtig los: Die chinesische Mittelschicht hat ihre Liebe zum Camping-Urlaub entdeckt. ARD Korrespondentin Tamara Anthony hat sich einer Reisegruppe des größten Pekinger Clubs angeschlossen.
Die erste Panne auf der Autobahn: Die Kupplung funktioniert nicht mehr. Ma Shipei muss eine Lösung finden. Wenn es um Campingwagen geht, legt er sich zu 200 Prozent ins Zeug. Sein Ziel ist: China zu einer Camping-Nation zu machen. Er hat in Camping-Plätze und Campingwagen investiert. Jetzt darf die Reise nicht an einer Schraube scheitern. Camping ist in China ein neuer Trend. Innerhalb der letzten vier Jahre ist die Zahl der Campingplätze und -Wagen in die Höhe geschnellt. Beliebt ist vor allem, in Gruppe zu reisen.
Andi Liu kennt noch keinen seiner Mitreisenden. Er hat sich alleine angemeldet - nur für einen Schlafplatz im voll belegten Campingwagen. Vier Tage wird die Reise dauern. In Kolonne geht es immer nach Norden, vorbei an der Großen Mauer in der bergigen Landschaft um Peking. Die meisten Campingplätze sind in dieser Region – in Reichweite der Städter.
Mutter und Vater Zhang sind beide Lehrer. Die Kinder werden – wie so oft in China – vor allem von den Großeltern aufgezogen. Jetzt haben sie endlich Zeit mit ihren Eltern: "Mein Mann hat Wohnmobile immer gemocht. Er nimmt uns sehr gerne mit auf Reisen und probiert verschiedene Sachen aus", erzählt Zhang Jiyuan.
Camping für die gehobene Mittelschicht
Die Zielgruppe vom neuen Camping-Trend ist die gehobene Mittelschicht. Der erste Campingplatz kostet entsprechend: eine Nacht im Zelthaus rund 200 Euro. In China geht es beim Camping nicht darum, günstig Urlaub zu machen, sondern mit einem gute Komfort-Standard in der Natur zu sein. Ma Shipeis Erfahrung ist, dass die jüngere Generation beim Camping konsumfreudig ist. "Wir stellen jetzt an einigen Schulen das Konzept des Campings vor. Gerade haben wir die Kinder gesehen, die so glücklich sind und viel gelacht haben. Heutzutage leben Kinder in riesigen Beton-Wüsten. Ich hoffe, die künftige Generation profitiert vom Campin", sagt Ma Shipei.
Der erste Abend ist als Kennenlernabend geplant. In China gehört dazu Karaoke. Alle machen mit. Die vielen Corona-Restriktionen in der Stadt - hier sind sie vergessen. Entsprechend ausgelassen die Stimmung danach am Lagerfeuer.
Mit Fremden einen Wohnwagen teilen
Der nächste Morgen. Es war die erste Nacht, die Andi Liu mit Fremden im Wohnwagen verbracht hat. Wo der Bankangestellte die nächste Nacht verbringen wird, weiß er noch nicht. "Hauptsache man lernt neue Freunde kennen. Und so eine Art Frischluft-Urlaub hat ein geringeres Risiko, sich mit Corona anzustecken", sagt er.
In Kolonne geht es weiter, bis in die Innere Mongolei. China ist fast 27 Mal so groß wie Deutschland. Die lokalen Kulturen sind sehr unterschiedlich. Hier sind Jurten typische Hotels am Straßenrand. Für Lehrerin Zhang Jiyuan fühlt sich die Innere Mongolei an, wie ein anderes Land: "Ich genieße die schöne Landschaft hier. Darum will ich nicht nur fotografieren, sondern auch malen. Denn das Wichtigste ist ja, die Schönheit hier und die Erinnerungen im Kopf zu behalten."
Andi Liu findet für diese Nacht einen Schlafplatz auf der Wiese schöner. Der nächste Tage beginnt mit Tüten-Nudelsuppe zum Frühstück. Es ist quasi das Studentenfutter Chinas und Andi Liu gesteht, dass er es nicht im Zelt ausgehalten hat. "Erst war ich im Zelt, aber die zweite Hälfte der Nacht im Wohnwagen. Später war es ein bisschen zu kalt."
Das erste Mal mitten in der Natur
Für viele junge Leute ist es das erste Mal mitten in der Natur. Für die ältere Generation dagegen, weckt die Reise Sehnsucht nach alten Zeiten. Herr Ma ist in einfachsten Verhältnissen groß geworden. Beengt wohnten alle unter einem Dach. Das Regenwasser haben sie in Kübeln aufgefangen. "Jedes Mal wenn ich in der Natur bin, wenn ich Regen höre, erinnere ich mich an die Szenen meiner Kindheit. Meine Mutter ist gestorben und ich vermisse sie sehr. Das Geräusch des Regens erinnerte mich an sie", sagt Investor Ma Shipei.
Noch hat das Milliardenvolk erst so viele Campingplätze wie Deutschland. Aber wenn der Trend anhält, kann China bald die Campingnation Nummer eins werden.
Autorin: Tamara Anthony, ARD Peking
Stand: 30.08.2020 20:22 Uhr
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