So., 30.08.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Mexiko: Schulstart via TV
Statt im Klassenraum, in einer kleinen Küche. Statt Stift und Schreibheft eine Fernbedienung. Das Schuljahr beginnt für Kristopher Kamil-Pedro Gabriel am Fernseher. Der Lehrer aus dem Fernseher spricht die Schüler an: "Es ist eine neue Art zu lernen, ihr müsst sehr diszipliniert sein, um Erfolg zu haben. "Es fühlt sich komisch an, aber ich werde trotzdem mein Bestes geben", sagt Kristopher. TV-Frontalunterricht – von 16 bis 19 Uhr ist in ganz Mexiko die gesamte Mittelstufe dran. Es geht los mit der Entstehung des Kosmos. Wie weit weg sind Sterne? Galileo Galilei. "Sie sagten, Galilei musste ins Gefängnis, aber ich verstehe nicht warum?", sagt Kristopher. Fragen, die für den 11-Jährigen unbeantwortet bleiben.
Tägliches ein neues Schul-Programm im TV
Täglich lässt die Regierung ein neues Programm aufzeichnen. Die Infektionszahlen im Land sind noch zu hoch, um in die Schule zurückzukehren. Und Kristopher will seine Oma auf keinen Fall anstecken. Der Unterricht geht weiter mit etwas Musik gefolgt von Mathematik. Kristopher ist froh, als seine Mutter Hilda überraschend früh nach Hause kommt. Eigentlich muss sie den ganzen Tag arbeiten. Es drängt die alleinerziehende Mutter aber ihren Sohn wenigstens in den ersten Tagen zu unterstützen und zu motivieren. "Wenn sie in der Schule schon nicht immer aufpassen, dann werden sie das allein, mit Büchern und Fernsehen erst recht nicht tun."
Es gibt in Mexiko auch andere Konzepte für Schüler. An Privatschulen geht der Unterricht im Internet los: Isabella Cortes-Molina sammelt auf Anweisung ihrer Spanisch-Lehrerin gerade die unterschiedlichsten Gegenstände ein, über die sie dann eine Geschichte schreibt. Die Klassenkameraden sind zwar hinter dem Bildschirm, aber sie sind da. "Am Anfang dachte ich, dass wird schrecklich, aber so schrecklich ist es nicht. Es ist etwas Neues, die richtige Schule würde ich dennoch bevorzugen. Im Englischunterricht erwartet Isabella eine Prüfung als Überraschung. Austausch mit den Lehrern, mit den Schülern, und wenn man Glück hat sind auch die Eltern als Unterstützer im Homeoffice.
Suche nach Lern-Alternativen geht weiter
In Mexiko sorgen sich viele Eltern, dass die soziale Ungleichheit weiter wächst, dass das Land insgesamt zurückfällt. "Alles gerät aus der Balance, ich mache mir Sorgen um unser Land, denn es ist doch die Bildung, die eine Gesellschaft voranbringt", Ricardo Cortes-Hernandez. Doch die mexikanische Regierung hat wohl keine Alternative zum Schul-Fernsehen. 16 Millionen Haushalte im Land haben kein Internet. Das Fernsehen bietet noch die größte Möglichkeit die Schüler zu erreichen. Das Schuljahr für Millionen von Kindern abzuschreiben, sei keine Option: "Es wäre ein ethisch-moralische Fehler. Es wäre ein Versagen unseres Bildungsauftrages. Das hier ist eine Alternative. Sie ist nicht perfekt, ja. sie erreicht nicht jeden. Wir müssen und werden noch weiter nach Alternativen suchen", sagt Maria Garcia Lascurain von der Lehrergewerkschaft SNTE.
Alternative okay, mit der Organisation bislang ist Hilda aber unzufrieden. Kristopher hat kein Wort mitgeschrieben. Irgendwann sollen Fragen über E-Mail von Lehrern an die Schüler kommen. Das alte Tablet hat sich die Familie dafür bei Freunden leihen müssen. "Ehrlich gesagt, bin ich mir nicht sicher, ob wir Kinder so lernen können", sagt Kristopher.
Unterricht im TV ist Mexikos Lösung, damit das Schuljahr nicht völlig verloren ist. Eine Alternative gibt es für das Land nicht.
Autorin: Xenia Böttcher, ARD Mexiko-City
Stand: 30.08.2020 20:22 Uhr
Kommentare