So., 20.09.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
China: Gemüseverkauf per Livestreaming vom Feld
Seine armen Jahre sind vorbei. Zwei Monatsgehälter haben gereicht. Jetzt fährt der Bauernsohn Wu XianSheng einen nagelneuen Tesla. Sein Produkt: Enteneier. Sein Schlüssel zum Erfolg: Er steht ständig per Livestream im direkten Kontakt zu seinen Kunden.
Über die chinesische App TikTok zeigt er seinen Arbeitsalltag live. Die potenziellen Käufer können jederzeit Fragen stellen – und Eier ordern. "Dieser Verkaufskanal ist sehr gut. Viel besser als die traditionellen Wege mit den Agenten und Mittelsmännern, die dann auch alle Geld haben wollen", sagt der erfolgreiche Geschäftsmann. Enteneier sind eine chinesische Spezialität – in Salz eingelegt und gedämpft. Ein beliebter Snack für zwischendurch. Auf das Vierfache haben sie jetzt die Produktion erhöht. "Jetzt verarbeiten wir 200.000 Eier an einem Tag. Und das ist auch die Zahl an Eiern, die wir an einem Tag verkaufen können", sagt Wu Xiansheng,.
Livestreaming steigert Gewinne stark
Wu lebt in einem kleinen Fischerdorf ganz im Süden Chinas. Jeder kennt sich, alle arbeiten in den gleichen Branche – solange sie noch jung sind, fischen sie. Wenn die Kräfte ausgehen, züchten sie Enten. Das ist die Arbeitsaufteilung, seit Generationen. Seine Streaming-Idee kam anfangs nicht gut an, erzählt Wu: "Die Leute hier finden Livestreaming schamlos. Sie verstehen nicht was du tust, wenn du jeden Tag in deine Kamera reinquatschst und immer mit dem Telefon rumrennst. Sie haben auf mich herabgeschaut, weil sie es nicht verstanden haben."
Doch der Erfolg gibt ihm Recht. Wu ist unterhaltsam und schafft Vertrauen. Im letzten Monat hat die Dorf-Kooperative so viel Gewinne eingefahren, wie sonst in einem halben Jahr. Früher hat er sich nicht vorstellen können, als Erwachsener im ländlichen China zu bleiben. Seit er das Livestreaming entdeckt hat, sieht er das anders: "Über diese Plattform können wir mit der Welt kommunizieren, unser Essen und unsere Kultur teilen und unsere Geschichte der Welt erzählen. Das ist sehr aufregend für uns."
Livestreamerinnen schulen Landwirte
250 Kilometer weiter: Hier gibt es Livestreaming-Kurse für Bauern. Nicht nur TikTok mischt hier mit. Alibaba und das chinesische Pendant zu Amazon, JD, sind auch dabei. Sie bieten Nachwuchslandwirten Nachhilfe in Sachen Direktvermarktung. In fertig eingerichteten Studios können sie üben. Bauer Song Defang verkauft seine Süßkartoffeln. Geschulte Livestreamerinnen helfen ihm, denn ganz allein stundenlang in eine Kamera zu reden, ist nicht sein Fall: "Ich rede dann mit den Influencerinnen, sie helfen die Atmosphäre etwas anzupassen. Also, am Anfang war ich dabei wirklich sehr nervös. Aber nach und nach ging es dann besser."
Logistik übernimmt Online-Plattforn
Online fliegen dem Kartoffelbauern die Herzen nur so zu. Die Süßkartoffeln vom schüchternen Bauern Song für umgerechnet knapp drei Euro pro Kilo können die Zuschauer mit wenigen Klicks via Handy kaufen. Auch die Bezahlung läuft direkt über die App. Bauer Song verkauft inzwischen mehr als die Hälfte seiner Süßkartoffeln online. Ein Prozent des Umsatzes gehen an die Plattform. Dafür organisiert sie aber auch den Transport. "Die Logistik von JD ist für uns sehr praktisch. Wenn jemand online bestellt, wird von denen alles abgewickelt. Allein wäre das viel Aufwand", sagt Song Defang.
Gerade während der Corona-Krise war der Transport ein großes Problem – als einzelner Bauer nicht zu lösen. Landesweit blieb überall Ernte tonnenweise liegen. Für Landwirte wie die von Bauer Sang Junfus Kooperative kam die Streaming-Initiative daher genau zum richtigen Moment. Mittlerweile hat sich der eher stille Landwirt an seine ständige Kamera-Begleitung im Gewächshaus gewöhnt. "Während der Corona-Krise im Februar/März war es nicht erlaubt, auf Märkte oder in Geschäfte zu gehen. Die Leute haben sich online umgeschaut. So haben sie Obst und Gemüse bekommen, das sogar frischer war, als im Supermarkt. Und direkt nach Hause geliefert."
Seit Corona sind die Verkäufe über Livestreamings in die Höhe geschnellt. Vormals hatte die Bauern-Kooperative 70 Angestellte, jetzt sind es fast 300. "In der Stadt würden sie jetzt sogar weniger verdienen als bei uns. Und hier zu arbeiten ist praktisch - nah an zuhause, sie können sich um die Großeltern und die Kinder kümmern. Sie müssen jetzt nicht mehr in die Stadt gehen", erklärt Sang Junfu.
Autorin: Tamara Anthony, ARD Peking
Stand: 20.09.2020 20:57 Uhr
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