Mo., 18.04.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Großbritannien: Rami – der Mann, der die Toten zählt
Das Telefon ist seine Waffe. Er hat es nonstop am Ohr. Schlaf findet er nur für ein paar Stunden. Bomben auf einen Vorort von Damaskus: Tote, auch Kinder melden seine Informanten. Sie haben ein Video geschickt. "Jeden Tag, jede Stunde siehst du Menschen sterben vor deinen Augen. Und du kannst nichts unternehmen. Aber du kannst es öffentlich machen", erzählt Rami Abdurrahman.
Kopf und Motor der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte
Es war nicht leicht Rami Abdurrahman zu treffen. Und es musste auf neutralem Boden sein. Es ist zu gefährlich, uns nach Hause einzuladen – für Frau und Tochter. Rami ist Kopf, Stimme und Motor der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Militäranalysten in Washington folgen seiner Website, die europäische Kommission unterstützt finanziell, Medien zitieren ihn – auch die ARD.
"Wir haben Feinde im Assad-Regime, Feinde in der syrischen Opposition, Feinde bei den Dschihadisten in Russland und im Iran durch unsere Arbeit. Unser Leben ist in Gefahr, deswegen arbeiten meine Leute auch im Untergrund. Niemand kennt sie, so schützen wir sie", sagt Rami Abdurrahman.
"Wir sind auf der Seite des Volkes"
Es selbst suchte in Coventry Schutz. Vor 16 Jahren, als er als Oppositioneller zum Assad-Regime in Gefahr geriet, sah er, wie seine Mutter geschlagen wurde und später, wie der Krieg in seine Heimat kam. Rami dokumentiert diesen Krieg, die Toten, die Bomben, das Verbrechen. Damit die Welt aufwacht und nicht gleichgültig ist, sagt er. Und dass es seine Pflicht sei.
Man sieht ihm an, dass es schmerzt und anstrengt. Immer wieder muss er sich verteidigen. Gegen den Vorwurf, selber Partei für die Opposition zu sein. Er zeigt Bilder aus Aleppo. Dort bombardierte die freie syrische Armee eine Kurdensiedlung. "Warum veröffentlicht ihr das? - haben sie uns vorgeworfen. Weil ihr bombt und tötet", sagt Rami. Immer wieder betont er seine Unabhängigkeit. Er weiß, nur so ist er glaubwürdig. "Wir sind auf der Seite des Volkes. Wir sind gegen das Regime, gegen die Opposition, gegen jeden, der sich gegen das syrische Volk wendet", sagt er.
Fakten von 236 Informanten
236 Informanten hat er am Boden. Sie sammeln Fakten, zählen Tote, schicken Fotos. Ärzte, Lehrer, Anwälte – auch eingeschleust in den islamischen Staat. Immer auf Empfang. Das Leben mit Krieg und Tod hat Spuren hinterlassen. Und eine Familie getrennt. "Der Name meiner Tochter ist Amani. Das heißt: Du hast Hoffnung für die Zukunft. Ohne die sterben wir. Ich hoffe, eines Tages meine Mutter wiederzusehen."
Die Arbeit für die syrische Beobachtungsstelle hat sein ganzes Leben eingenommen. Seinen Kleiderladen hat er dichtgemacht. Er hat keine Zeit mehr. Er zählt weiter die Toten, um die Fakten zusammenzuhaben – wenn sich die Kriegsverbrecher verantworten müssen. Der Gerechtigkeit, sagt er, kann keiner entgehen.
Autorin: Hanni Hüsch, ARD-Studio London
Stand: 11.07.2019 15:01 Uhr
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