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Syrien: Eine Kleinstadt wehrt sich

Syrien: Eine Kleinstadt wehrt sich | Bild: SWR

"Die Welt erwartet ein glückliches Jahr 2016. Während die Syrer mehr Opfer zu erwarten haben. Trotzdem wünschen wir allen ein fröhliches neues Jahr." Das war die Video-Botschaft einer Gruppe von syrischen Aktivisten, die sich "Vereinigung der Revolutionären Büros" nennt und in dem Kleinstädtchen Kafranbel im Norden Syriens residiert.

Kafranbel hatte sich als eine der ersten syrischen Städte gegen den Diktator Assad erhoben. Nach Besetzung durch Regimetruppen konnte die Freie Syrische Armee den Ort wieder befreien. Trotz Bomben, die Assads Flugzeuge immer wieder abwerfen, trotz Drohungen von islamistischen Milizen, die in der Gegend herrschen: Die Aktivisten der  "Vereinigung der Revolutionären Büros"  kämpfen beharrlich für friedliche Veränderungen in Syrien, für Freiheit, Demokratie und Pluralismus. Und sie tun es mit ihrer besten "Waffe": dem freien Wort. Ein Film von Mahmoud Al-Tamr und Esther Saoub, SWR Stuttgart.

Stadtansicht Kafranbel
Die Menschen in Kafranbel hatten sich schon früh gegen Assad gewandt.  | Bild: SWR

Auf den ersten Blick ist Kafranbel eine Kleinstadt wie viele im Nordwesten Syriens. Sie gehörte zu den ersten, die sich 2011 gegen die Regierung erhoben haben, im Sommer darauf hat die "Freie syrische Armee" Assads Truppen vertrieben. Seither konnten die Einwohner ihre friedliche Revolution am Leben erhalten. Ein Sportplatz dominiert den Ort, an dem die Fäden des Aufstands zusammenlaufen: Die Vereinigung der revolutionären Büros. In diesem unscheinbaren Gebäude versuchen sie das Unmögliche: den Aufbau ziviler Strukturen in einem von Gewalt zerrütteten Land. Einer der Gründer und heutiger Direktor ist Raed Fares: "Unser Ziel ist Veränderung. Denn Revolution heißt ja Veränderung. Wir wollen die Gesellschaft verändern und ich glaube, inzwischen haben wir auch das Vertrauen der Leute."

Appell aus Kafranbel an die Welt

Mit immer neuen Videos wendet sich Kafranbel an Syrien und an die Welt: Jahresrückblick in fünf Worten: "Amerikaner lügen und Russen bombardieren". Die Berichterstattung über ihren friedlichen Widerstand übernehmen sie selbst. Denn nicht nur die syrische Gesellschaft soll sich ändern, sondern auch das Bild, das die Welt von ihr hat. "Die Leute sehen nur Assad und den Islamischen Staat. Und vergessen die Bevölkerung! Dabei ist sie es, die Veränderung schaffen kann. Wer ein Gewehr trägt, kann die Revolution beschützen, aber nur das zivile, das friedliche Engagement verändert die Gesellschaft – und zwar von innen."

Moderator vor Mikrofon
"Radio Fresh"sendet 24 Stunden Programm für die Regionen Idlib und Hama. | Bild: SWR

Die revolutionären Büros sind in viele Richtungen aktiv: sie organisieren Wasser- und Energieprojekte, Krankenwagen retten Menschen in der gesamten Region, Frauen- und Kinderzentren halten Kontakt zu den Familien. Kafranbel ernährt sich selbst, mit Hilfe der lokalen Landwirtschaft und durch Unterstützung aus dem Ausland. Dass das Leben hier vergleichsweise gut funktioniert hat auch damit zu tun, dass die revolutionären Büros Spenden beschaffen. Und sie informieren mit ihrem "Radio Fresh". Es sendet 24 Stunden Programm für die Regionen Idlib und Hama.

Worte sind stärker als Waffen

Wer hier arbeitet ist überzeugt davon, dass Worte stärker sind als Waffen. Das Geld kommt aus Privatspenden und von Organisationen in Europa und den USA. Moderatoren und Reporter sind angestellt für 100 Dollar im Monat – das verdienen alle 470 Frauen und Männer, die in den Büros arbeiten, sogar der Direktor. In den Werkstätten von Kafranbel läuft Radio Fresh nicht nur zur Unterhaltung, der Sender ist überlebenswichtig. "Das Radio ist hier unsere einzige Informationsquelle. Wir hören Nachrichten, erfahren, wo die Milizen stehen und ob Flugzeuge kommen, ob Bomben fallen."

Anti-Assad-Graffiti an Häuserwand
Anti-Assad-Graffiti in Kafranbel. | Bild: SWR

Kafranbel gehört zur Region Idlib, dort herrscht die al-Qaida-nahe al-Nusra Front. Ihre islamistischen Kämpfer haben mehrmals versucht, den Direktor der revolutionären Büros einzuschüchtern, allerdings ohne Erfolg. Er sagt deutlich, was er von den Islamisten hält: "Eine bewaffnete Gruppe, die versucht, der Bevölkerung ihre Herrschaft aufzuzwingen, unterscheidet sich in nichts von der Ideologie der Regierung Assad", so Raed Fares.

Ziel: ein ziviler Staat

Fares hält fest an seiner Vorstellung von Syrien. Er unterstützt den Aufbau einer unabhängigen Justiz jenseits der Scharia-Gerichte der Islamisten. "Wir haben uns ein Ziel gesetzt: den zivilen Staat, der jedem Bürger seine Rechte garantiert, egal welcher Ethnie oder Religion er angehört. Wir haben hier wie Sklaven gearbeitet, auf der Farm der Familie Assad. Aber unser Traum ist es, zu leben wie alle anderen Gesellschaften auch. Die ihre Würde haben, Freiheit und die Möglichkeit, ihre Regierung selbst zu wählen. Eigentlich träume ich einfach nur davon, Mensch zu sein."

Stand: 10.07.2019 12:22 Uhr

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