Mo., 04.07.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Israel: Zum Ramadan – Beruf "Aufwecker"
2 Uhr morgens in der israelischen Küstenstadt Akko: "Wacht auf! Im gesegneten Ramadan. Damit ihr noch rechtzeitig vor Morgengrauen etwas essen könnt.“ Der Masharati, der "Aufwecker", erinnert die Muslime daran, dass sie bis Einbruch der Dunkelheit überhaupt nichts zu sich nehmen dürfen. "Der Tag wird heiß und lang, esst und trinkt jetzt!"
Michel Ajoub macht das schon seit 13 Jahren. Er selbst ist kein Muslim, sondern Christ. "Ob Christ oder Muslim ist doch egal. Wir alle glauben an Gott. Gott hat mir eine gute Stimme geschenkt. Und ich nutze das Talent, um etwas Gutes für meine Mitmenschen zu tun. Mich selbst weckt morgens übrigens der Handywecker", erzählt Michel Ajoub.
"Er ist ein Gottesgeschenk"
Die Fastenden warten schon auf Michael, um sich für seine Dienste zu bedanken. "Er ist ein Gottesgeschenk. Ich wünsche ihm ein langes Leben. Wenn wir ihn hören, stehen wir sofort auf, um ihn zu sehen."
"Wir alle in Akko lieben Michel. Dass unser Masaharati ein Christ ist, ehrt uns Muslime. Das zeigt, wie gut wir hier alle zusammenleben, egal welche Religion wir haben. Mein Nachbar ist Jude. Und wir lieben uns wie Brüder."
Wenn der Muezzin zum Frühgebet ruft, kurz vor 4 Uhr morgens, ist Michels Aufgabe zu Ende. Wer bis jetzt nichts gegessen hat, muss bis gegen 8 Uhr abends warten. "Als Christ faste ich zwar nicht wie die Muslime, aber ich respektiere es. Es ist gut, wenn sich Menschen in ihre Religion vertiefen. Nur kein Extremismus! Wer extrem wird, beginnt zu hassen und entfernt sich von Gott. Diese furchtbaren Extremisten wollen wir in Akko nicht", sagt Michel Ajoub.
2 Uhr mittags, 40 Grad Hitze. Seit zehn Stunden fasten die Menschen mittlerweile. Trotzdem, die Arbeit muss gemacht werden. Nur wenige können sich Müßiggang leisten. Michel ist auf dem Weg zum Markt, wo er natürlich alle kennt. Einmal erkannt, kommt er dann keine paar Meter weit, ohne Hände zu schütteln. Alle wollen sich bei ihm für seinen Einsatz bedanken. Michel ist auf der Suche nach einem neuen Tuch für seinen morgendlichen Auftritt. Er ist ein ziemlich modebewusster Junggeselle.
Für einen Masaharati gibt es nur Gotteslohn
Für einen Masaharati gibt es nur Gotteslohn. Sein Geld zum Leben verdient er als Fliesenleger. Am Abend gegen halb 8 beginnen die Vorbereitungen fürs Iftar, das Fastenbrechen. Der Imam hat ganz bewusst auch Würdenträger der anderen Religionen in die Moschee geladen. Die letzten Minuten bevor sie nach 16 Stunden wieder essen dürfen, sind wohl die schlimmsten. Gegen 8 der erlösende Ruf des Muezzin.
Das ist also der Kreislauf der Tage und Nächte im Ramadan. Kein leichter, aber ein ganz besonderer Monat in Akko. Auch weil Menschen wie Michel zum friedlichen und respektvollen Umgang miteinander beitragen.
Autorin: Susanne Glass, ARD-Studio Tel Aviv
Stand: 12.07.2019 05:15 Uhr
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