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Japan: Hanko-Siegel behindern digitalen Fortschritt

Japan: Hanko-Siegel behindern digitalen Fortschritt | Bild: NDR

Japan dringt ins Digitale vor, in eine ferne Galaxie: Steuerberater Nakajima empfindet sein Büro als Blätterwald, etwas analog. Deshalb hat er sich Digitalisierungsberater Komatsu nebst Assistentin ins Haus geholt. Die erkennen schnell die Dimension ihrer Aufgabe: "Hmh", murmelt der Coach, "offenbar war das Meiste ja digital und wurde dann wieder ausgedruckt?" Daten sind flüchtig - schlecht. Papier ist geduldig - gut.

Zwanghaftes Ausfüllen sinnentleerter Formulare – das ist das Problem Japans. Alles kriegt was drauf. Warum? Zur Sicherheit. Womit? Mit den sogenannten Hanko: "Es ist fürchterlich. Wir haben 5.000 Namen und Hanko in der Kartei. Wir müssen immer erst suchen, dann stempeln. Und ist was falsch gestempelt ist das ein großes Problem. Und dann muss alles wieder einsortiert werden", sagt Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Yoshimasa Nakajima.

Berater Komatsu empfiehlt elektronische Verfahren – irgendwann. Bis dahin gibt es Laufzettel: Mitarbeiter besucht Kunde: Stempel. Mitarbeiter kommt zurück: Stempel. Mitarbeiter schreibt Bericht: Stempel. Stempel vom Abteilungsleiter. Fehlt noch der Segen vom stellvertretenden Firmenchef und vom Boss selber. "Jedes Geschäft ist einer plötzlichen Digitalisierung gegenüber sehr misstrauisch. Aber durch die Corona-Krise sind die Betriebe jetzt gezwungen, das voranzutreiben", erklärt Komatsu.

Nur Schocks von außen verändern was in Japan. Corona ist so ein Schock. Da fällt dann der Hanko-Wahnsinn auf. Homeoffice? Wie denn, wenn Angestellte ins Büro müssen – weil es was zu Stempeln gibt. Der Firmen-Hanko, das amtliche Siegel, ist im Büro deponiert. Doch per Cloud und E-Signatur soll es ihm jetzt an die Tinte gehen – theoretisch.

Hanko statt elektronischer Siegel

Ein Stempel wird auf ein Schriftstück gesetzt.
Zwanghaftes Ausfüllen sinnentleerter Formulare – das ist das Problem Japans. | Bild: NDR

Transformation durch Corona. Makoto Okamotos zehnköpfige Firma berät Museen und Bibliotheken bei Organisation und Präsentation. Er sagt, wenn es nach ihm ginge, hätte er gar kein Büro: "Seit 25 Jahren reden sie in Japan von Homeoffice. Da war ich mit der Uni fertig und da gab es auch schon Internet. Erst jetzt ist es dann soweit." Und doch hat er ein Büro – weil er konservative Kunden hat. Es treibt ihn in den Wahnsinn, doch er muss hin – denn da warten die Hanko und das Papier. Elektronische Siegel hätte er gerne. Nur: Die Gegenseite zieht nicht mit. Die besteht auf Hanko - zur Sicherheit: "Also, je nach Kunde kommt der Stempel an eine andere Stelle. Das ist nicht leicht. Ich muss den Hanko auf eine, zwei, drei, vier Stellen drücken. Vier, glaube ich. Moment. Ah, fünf sind es, fünf."  

Von daheim erinnert ihn nun die Sekretärin, alles noch auf CD-Rom zu brennen. Steinzeit, aber Behördenwunsch. Okamoto hatte erst gar kein Laufwerk. Nur übers Internet geht nicht - die Behörde kann online den Empfang nicht bestätigen: Papier gewinnt – und da muss der Hanko drauf:  "So ein Stempel ist ja auch nicht fälschungssicher, kann jeder kopieren. Die Garantiefunktion ist also erloschen. Das weiß im Grunde auch jeder Japaner", sagt Okamoto.

Tradition ist Trumpf in Japan

Seit den 1980er-Jahren propagiert Japan Reformen von Arbeitsstil- und -prozessen. Bislang zwecklos. Gewohnheiten sind hier wie Gesetze. Doch Soziologen wie Prof. Shoji spüren ein Umdenken: Virus und technologischer Wandel seien letztlich stärker als Japans Inselmentalität. In der stark alternden Gesellschaft des Landes jedoch könnte sich der Hanko noch als harter Brocken erweisen: "Eine sehr japanische Art von Reform ist, noch so ineffiziente Methoden trotzdem zu digitalisieren. Der Hanko ist da keine Ausnahme. Es gibt jetzt schon Roboter, die mit Hanko stempeln", sagt Soziologe Prof. Masahiko Shoji von der Universität Musashi in Tokio.

Tradition ist Trumpf in Japan. Doch Steuerberater Nakajima räumt jetzt auf - im Analogen und unter Anleitung. Und im zweiten Stock läuft schon ein Pilotprojekt: Mitarbeiterin Nagashima digitalisiert – um die PDFs dann doch nochmal auszudrucken. Zur Sicherheit:  "Ich muss jetzt erst mal mein eigenes Verfahren entwickeln. Bis sich das auf alle anwenden lässt, wird sicher einige Zeit vergehen. Aber ich würde mich freuen, wenn es dazu kommt."

Autor: Uwe Schwering, ARD-Studio Tokio

Stand: 24.09.2020 21:06 Uhr

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