So., 14.02.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
Japan: Boom für die "Unglückshäuser"-Verkäufer
Eigentlich gilt es als Tabu, in Japan ein sogenanntes Unglückshaus zu kaufen. Als "Unglückshäuser" werden Immobilien bezeichnet, in denen sich die Besitzer oder Besitzerinnen das Leben genommen haben oder einsam und ohne Beistand der Familie gestorben sind. "Unglückshäuser" bringen Unglück, heißt es in Japan. Aber in Zeiten der Corona-Pandemie interessieren sich viele Familien plötzlich für ein Objekt, das eigentlich Unglück bringt. Denn viele Japaner und Japanerinnen können sich angesichts wirtschaftlicher Einbußen auf ihrer Suche nach den eigenen vier Wänden nur noch "Unglückshäuser" leisten. Plötzlich werden die ungeliebten Immobilen zu beliebten Schnäppchen.
Ruhige Lage nennen es die einen, Totenstille die anderen. Lange hat sich in dieses Haus niemand hierhergetraut. Akira Okuma will die Sache professionell angehen. Aber selbst ihm wird an der Eingangstür ganz anders. Abgestandene Luft schlägt ihm entgegen. Hier ist es passiert. Hier hat sich der Besitzer das Leben genommen. Es wirkt, als sei der Bewohner eben noch hier gewesen.
Aber jetzt soll Makler Okuma das unheimliche Haus verkaufen. "Ein Haus erzählt viel darüber, wie hier gelebt wurde. Das geht mir jedes Mal sehr nahe. Die Vorstellung, wie er hier gestorben ist, das tut mir weh", sagt der Makler. Drei Monate hat die Leiche unentdeckt im Haus gelegen. Der Boden wird ausgetauscht, meint Okuma. Vielleicht sogar bis runter aufs Fundament.
"Unglückshäuser": Alte Denkweise noch stark verwurzelt
Es nicht das einzige Objekt dieser Art für den Makler. In der Corona-Pandemie hat die Zahl der Suizide in Japan zugenommen, zum ersten Mal seit mehr als einem Jahrzehnt. Die Wohnungen stehen leer. Aber wie verkaufen, was unverkäuflich ist? "Unglückshäuser" nennen sie hier die Orte, an denen Menschen unter tragischen Umständen gestorben sind. "Sie sagen, da bleibt ein Geist oder ein Fluch zurück. Das ist so eine alte Denkweise, die immer noch stark verwurzelt ist. Deshalb will man auf keinen Fall in so einem Haus wohnen", erklärt Akira Okuma.
So auch in einem anderen Objekt. Der letzte Bewohner starb krank und verlassen in seinen vier Wänden. Das geschieht immer öfter in Japan. Was passiert mit dem, was die Einsamen hinterlassen? Treibgut des Lebens. Profis beseitigen es. So wie die Firma "Keepers". Bewahrer nennen sie sich. Doch ihr Job ist das Wegwerfen. Was davon ist jetzt noch wichtig? Offenbar nicht viel. Eben noch die letzte Parfümflasche ausleeren. Ein Leben ist schnell zusammengekehrt. Was vor Kurzem noch unersetzlich war, jetzt nur noch Ramsch. Aber fein säuberlich sortiert. Doch es gibt Dinge, bei denen selbst die Entrümpler zögern. Persönliche Gegenstände werden noch einmal gesammelt, bevor sie den Flammen übergeben werden und unwiderruflich verschwinden. Erinnerungstücke – aber keiner, der sich noch erinnert.
Das Leben geht weiter nach dem Tod
Der buddhistische Mönch Gyoki Sasaki will den Abschied erleichtern. Sonst kommen sie alle nicht zur Ruhe, weder die Seelen der Verstorbenen, noch die Hinterbliebenen. Mit dem Tod ist nicht alles vorbei: "Die Leute glauben, dass den Gegenständen und den Wohnungen, die die Verstorbenen zurücklassen, noch ein Leben innewohnt. Das finden sie irgendwie unheimlich. Es kommt jetzt darauf, dieses Gruselige zu löschen, dabei kann die Zeremonie hilfreich sein."
Das Leben geht weiter nach dem Tod. Togo Sakamoto erfüllt sich den Traum vom Eigenheim, gemeinsam mit seiner Frau Yumi. Beide sind Mitte 20. Auch das Haus des Paares stand monatelang leer, nachdem der Vorbesitzer darin gestorben war. Der Haus liegt leider etwas ab vom Schuss. Die Fahrt nach Tokio kann mehr als eine Stunde dauern. Und dann noch dieser traurige Vorfall – der Vorbesitzer erhängte sich im Hausflur. "Anfangs war ich unsicher. Aber die Wohnung ist hell und ich spüre gar nichts Ungewöhnliches", sagt Togo Sakamoto.
Makler Okuma spricht dem jungen Paar Mut zu. Sie hätten eine vernünftige Entscheidung getroffen. Der Kaufpreis lag ein Drittel unter dem Marktniveau, nur wegen der Vorgeschichte. Dennoch hatte Yumi Sakamoto Bedenken. Der Start ins Glück soll doch frei von Unglück sein: "Dieses Vorfall damals, die Person, was wohl mit ihr passiert ist? Das hat mich schon beschäftigt. Ich hatte Angst davor, dass er hier spukt."
Das aber sei jetzt vergessen. Günstiger Wohnraum ist knapp in Tokio. Und es stehen schon genug Häuser leer in den Vororten. Wo die Menschen immer älter werden, und viele auch immer einsamer.
Stand: 14.02.2021 20:18 Uhr
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