Mo., 10.10.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Nigeria: Maiduguri trotzt Boko Haram
Die nigerianische Stadt Maiduguri atmet auf. Fati Abubakar fängt den brüchigen Frieden mit ihrer Kamera ein. Bis vor Kurzem war der Markt ein gefährlicher Ort. Immer wieder hatten sich hier Selbstmordattentäter der Terrorgruppe Boko Haram in die Luft gesprengt. Doch jetzt scheint die Stadt sicher. Die Fotografin hört sich die Sorgen der Händler an. Sie können nur wenig verkaufen, kaum jemand hat genug Geld für üppiges Essen. "Ich bin Fotografin geworden, weil ich nie ausgewogene Geschichten gesehen habe. Alle haben sich immer nur auf den Horror und die Anschläge konzentriert und alles Schlechte, was dieser Stadt widerfahren ist. Ich will eine Art Gegengeschichte erzählen – zu dem, was die Medien berichten", sagt Fati Abubakar.
Eine Stadt voller Kontraste
Die Märkte sind voll, trotzdem hungern Menschen in Maiduguri. Das weiß auch Fati. Die Kontraste sind schwer auszuhalten – auch für uns. In der Krankenstation versorgt ein internationales Team Kinder, die von Unterernährung und Hunger gezeichnet sind. Der 14-jährige Abubakar Muhamed ist schon seit fast einer Woche mit seiner Mutter hier. "Wir haben einfach kein Geld, wir leben von der Hand in den Mund. Oft haben wir gar nichts zu essen", sat Mutter Haja Ganar. Alle erzählen Ähnliches.
Auf der Intensivstation wird es plötzlich hektisch. Ein Mädchen atmet nicht mehr. Die Krankenschwester Fiona Bay aus Deutschland gehört zum medizinischen Team. Zu spät. Innerhalb einer Stunde stirbt bereits das zweite Kind. Unermessliches Leid für den Vater des kleinen Mädchens. "Im Moment sieht es nicht so aus, als ob irgendeine Besserung wäre. Im Gegenteil, wir kriegen immer, immer mehr Kinder. Jeden Tag steigt die Anzahl. Wir haben eine Intensivstation, die geplant war für 10 Betten, wir haben erweitert auf 15 Betten, wir haben Tage, an denen in 10 Betten je 2 Kinder liegen. Und gleichzeitig sehen wir hier aber auch eine katastrophale Situation, was die Gesundheit der Menschen angeht, weil sie oft viel zu spät kommen", erklärt Fiona Bay, Krankenschwester von Ärzte ohne Grenzen.
"Uns steht ein langer Heilungsprozess bevor"
Mehr als eine Million Menschen sind vom Land nach Maiduguri geflüchtet. Aus Angst vor den Boko-Haram-Terroristen konnten sie ihre Felder zu Hause nicht bestellen. Die Regierung versorgt sie in den Flüchtlingslagern nur unzureichend. Fati Abubakar besucht eines der Lager. Die Fotografin blendet das Leid nicht aus, will es aber auf ihre Weise einordnen. Sie trifft eine junge Frau, die in Gefangenschaft von Boko Haram war, wie Tausende andere. Fati möchte mit einer Reportage verhindern, dass traumatisierte Frauen wie sie von der Gesellschaft abgelehnt werden. "Uns steht ein langer Heilungsprozess bevor und wir müssen viel wieder aufbauen, aber ich möchte den Menschen zeigen, dass wir diese Ausdauer haben. Ja, wir haben gelitten, wir haben eine Menge durchgemacht, aber unser Leben geht weiter", sagt Fati Abubakar.
Jeder Tag ist eine Gratwanderung zwischen Frieden und den Folgen des Krieges. Nur wenige Hilfsorganisationen sind in Maiduguri, geschweige denn außerhalb der Stadt, wo es noch immer unsicher ist. Jeden Tag kommen um die 1.000 Menschen in die Ambulanz der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. Hier zahlen sie nichts – im Gegensatz zu den staatlichen Krankenhäusern. Geld für ärztliche Hilfe ausgeben – das kann sich kaum jemand leisten.
Zweifel und Hoffnung in Maiduguri
Die Krankenschwester Fiona Bay geht durch die Reihen, um die schlimmsten Fälle in die Notaufnahme bringen zu lassen. Zu allem Überfluss ist gerade auch Malaria-Saison – zusammen mit Hunger oft eine tödliche Kombination. " Es gibt schon auch Tage, wo man sich fragt, warum? Warum das Leid? Warum bin ich hier? Warum reicht es mir nicht, in Deutschland mit Flüchtlingen zu arbeiten? Warum muss ich mich so einem Leid aussetzen? Oder auch: Was kann ich hier überhaupt bewirken als einzelne Person?", erzählt Fiona Bay.
Es sind immer Einzelne wie Fiona oder Fati, die etwas bewirken. Als Zeichen für den wieder gewonnenen Frieden in der Stadt ist Mr. Eazi, ein bekannter Musikstar in Westafrika, nach Maiduguri gekommen. Er wird ein Konzert geben. Fati Abubakar fotografiert ihn mit einigen Fans vor der großen Moschee und dem Sultanspalast. Ein fröhlicher Moment. Diese Bilder will Fati eben auch zeigen, neben all dem Leid. Vom Feiern zu Hause in ihren Dörfern, in Frieden, ohne Hunger können die Menschen in den Flüchtlingslagern vorerst nur träumen.
Autorin: Sabine Bohland, ARD-Studio Nairobi
Stand: 12.07.2019 23:18 Uhr
Kommentare