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Das Erste
Pakistan: Christen als Sündenböcke?
Ashiq Masih hat nur ein paar Fotos von seiner Frau, besuchen kann er sie nur selten. Das Gefängnis ist eine Tagesreise entfernt. Seit sieben Jahren sitzt Asia Bibi in der Todeszelle. "Sie ist im Moment ziemlich krank, aber ihr Glaube an Gott ist ungebrochen. Wenn sie tatsächlich hingerichtet wird, dann stirbt sie für Jesus", sagt ihr Mann.
Die zwei gemeinsamen Töchter schirmt der Vater ab. Die Familie lebt in der Millionenmetropole Lahore in ständiger Angst. In einer christlichen Schule arbeitet Ashiq Masih als Wachmann. "Wir bekommen viele Drohungen. Sie wollen uns töten, wenn Asia freigelassen wird. Auch den Richtern drohen sie mit dem Tod. Deshalb zieht sich der Fall so lange hin. Alle fürchten um ihr Leben", erzählt er.
Die letzten Filmaufnahmen von Asia Bibi sind sechs Jahre als. Sie sind bei einer Pressekonferenz mit einem Politiker entstanden, der sich für ihre Freilassung einsetzte. Zwei Nachbarinnen hatten Asia Bibi nach einem Streit beschuldigt, den Propheten Mohammed gelästert zu haben, darauf steht die Todesstrafe. Die Anschuldigungen seien völlig unglaubwürdig, betonte der Politiker. Dafür ermordete ihn sein eigener Leibwächter wenig später auf offener Straße.
"Blasphemiegesetz bedroht uns alle"
Asia und ihre Familie hoffen nun auf ihren Anwalt. Er ist Muslim und Menschenrechtsexperte. Er hat den Fall aus Überzeugung übernommen – und aus Mitgefühl: "Das ganze Land hat versucht, mich davon abzuhalten. Niemand hat mich unterstützt. Stattdessen hieß es: Wie kannst du dein Leben und das deiner Familie so aufs Spiel setzen?", erklärt Saif Ul-Mulook.
Für ihn ist der Fall klar: Nach islamischem Recht darf niemand bei so schwachen Beweisen verurteilt werden. Auch wenn viele Asias Tod fordern. "Sie werden hier kein normales Leben mehr führen können. Wenn Asia freigelassen wird, wird man die Familie wohl abschieben", sagt Saif Ul-Mulook.
Die Christen sind Diskriminierung und auch Terror gewohnt. Der Sohn eines Ehepaars starb im letzten Jahr, als er sich vor seiner Kirche einem Attentäter in den Weg stellte. Für seine Eltern ist er ein Märtyrer – wie auch Asia Bibi. "Ihre Verurteilung zeigt, wie es hier um uns Christen bestellt ist. Das Blasphemiegesetz bedroht uns alle. Uns können jederzeit die Worte im Munde verdreht werden. Und schon heißt es: Ihr habt den Propheten gelästert und müsst dafür sterben", sagt Akash Masih.
"Wer immer sich für sie einsetzt, ist unser Feind"
Genau das fordern viele radikale Islamlehrer und ihre Anhänger. In einer Moschee in Lahore gilt der Mörder des Politikers, der Asia Bibi beistand, als eine Art Heiliger. Er habe schließlich die Ehre des Propheten verteidigt. Die Christin Asia Bibi habe sie geschändet. Sie müsse hängen. "Ich weiß nicht, was alle haben. Sie wurde verurteilt, das Urteil wurde in nächster Instanz bestätigt, es ist damit eindeutig bewiesen: Asia hat den Propheten gelästert", erklärt der Islamgelehrte Khadim Hussain Rizvi. Und sollte das Urteil doch aufgehoben werden, droht der konservative Koranlehrer: "Wenn Asia Bibi freikommt, werden wir gegen das Gericht und gegen die Regierung auf die Straße gehen. Wir haben an sich nichts gegen Christen, nur gegen Asia Bibi. Und wer immer sich für sie einsetzt, ist unser Feind."
Verfassungsrichter entscheiden über Tod oder Freilassung
Eine offene Drohung gegen die obersten Verfassungsrichter. Die wollen demnächst das Urteil in letzter Instanz fällen – in der Hauptstadt Islamabad. Laut Gesetz heißt das: entweder Tod oder Freilassung.
Die Gerichte verhängten zuletzt viele Todesstrafen – meistens gegen muslimische Gewalttäter. Pakistan macht gerade Front gegen Terrorismus. Der zum Mörder gewordene Leibwächter wurde inzwischen hingerichtet. Drakonisch auch die Reaktion auf den Lynchmord an einem christlichen Ehepaar, dem Blasphemie vorgeworfen worden war. Todesstrafe für fünf der Täter.
Auch einige pakistanische Journalisten beziehen offen Position gegen Radikale – und für Asia Bibi. Aus Sicht der populären Bloggerin Aisha Sarwari steht die Zukunft des Landes auf dem Spiel: "Pakistan würde bei einer Vollstreckung des Todesurteils isoliert werden – und zwar völlig zu Recht. Wer richtet schon eine Mutter hin!? Und dann gehört sie noch zu einer Minderheit, die es bei uns ohnehin sehr schwer hat."
Christen kämpfen für ihre Rechte
Nur unter Polizeischutz können katholische Christen durch die Straßen von Lahore marschieren. Sie demonstrieren für Jesus und ihre Rechte. Aisa Bibis Familie ist aus Sicherheitsgründen nicht dabei. Jeder Kirchgang ist riskant, vor allem an Feiertagen. An Ostern letztes Jahr wurde auf diese Gemeinde ein Anschlag verübt. Doch die Überlebenden wollen sich nicht einschüchtern lassen. "Nein, im Gegenteil, es kommen immer mehr Menschen. Nur ein paar wenige sind weggeblieben. Die anderen spüren, dass sie gerade jetzt die Stärkung durch den Glauben brauchen. Wir haben keine Angst", sagt Prieser Franzis Gulzar.
Ein bisschen Hoffnung setzen die Christen auch in den pakistanischen Staat. Wer, wenn nicht die Regierung und die Polizei, soll sie schließlich vor neuen Terrorattacken schützen? Deshalb verzichtet der Priester auch auf Kritik am strengen Blasphemie-Gesetz. "Dieses Gesetz kommt ja öfter gegen Muslime als gegen Christen zum Einsatz. Viele sind deswegen angeklagt worden. Aber Asia Bibi ist sicher das bekannteste Opfer. Sie leidet immer noch in ihrer Zelle. Wir beten, dass sie bald freikommt.“
Das könnte, wenn sich das Verfassungsgericht beeilt, theoretisch noch vor Weihnachten der Fall sein. Nicht nur für ihre Familie wäre das ein großes Geschenk. Ein noch größeres wäre, wenn das Christenviertel irgendwann keinen bewaffneten Schutz mehr braucht.
Autor: Markus Spieker, ARD-Studio in Neu-Delhi
Stand: 13.07.2019 12:24 Uhr
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