Mo., 28.01.19 | 04:50 Uhr
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Polen: Missbrauch in der katholischen Kirche
Pfarrer Henry Jankowski gilt bis heute als Held der Solidarnosc-Bewegung. Und – er hat seit den 1960er-Jahren offenbar Jungen und Mädchen missbraucht. Das berichtet Michal Wojciechowicz, der als Jugendlicher von Pfarrer Jankowski bedrängt wurde und sich nur durch einen Zufall retten konnte. Das Denkmal, das die Danziger dem Pfarrer für seine Verdienste für die Solidarnosc-Bewegung gebaut haben, müsse weg, fordert Wojciechowicz.
Vorwürfe gegen Jankowski – Gallionsfigur der Solidarnosc-Bewegung
Sie protestieren an einem Ort, der für viele in Danzig historische Bedeutung hat: Michal Wojciechowicz hat ein Laken mitgebracht, das er über das Denkmal des Priester Henryk Jankowski stülpt. Knapp fünfzig Menschen sind gekommen. Ein Denkmal der Schande nennen sie es. "Ein sexuelles Raubtier hat ein Denkmal bekommen. Er hat kleine Kinder missbraucht, Jugendliche und Minderjährige", sagt Michal Wojciechowicz. "Dieses Denkmal steht für das Böse. Es muss aus der Öffentlichkeit entfernt werden. Das Böse, und was es verkörpert, muss weg. Ganz einfach." So einfach ist das aber nicht. Denn Henryk Jankowski ist eine Gallionsfigur der Solidarnosc-Bewegung. Der Priester, 2010 verstorben, war Freund und der Beichtvater von Streikführer Lech Walensa.
Michal Wojciechowicz lebt am Stadtrand von Danzig. Der 54-jährige arbeitet als Management-Trainer und schreibt Bücher. Er ist Vater von drei Kindern. Damals, in den in 1980er- Jahren waren seine Mutter und er bei Solidarnosc aktiv. Und in dieser Zeit soll es geschehen sein. Bei Pfarrer Jankowski im Pfarrhaus. Wojciechowicz erinnert sich: "Er umarmte mich und hielt mich dabei fest. Nach einigen Sekunden spürte ich seine Erektion. Ich war wie gelähmt. Dann wanderte seine Hand runter auf meine Pobacken. Und dann versuchte er, einen Kuss zu erwzingen und drehte dazu mein Gesicht."
Als die Haushälterin erscheint, lässt der Priester ihn los. Danach achtet Michal darauf, niemals mit dem Pfarrer allein in einem Raum zu sein. "Diese zwei Minuten lange Situation hat mich für das ganze Leben lang geprägt", sagt Wojciechowicz. Erst viele Jahre später, als andere Vorwürfe laut wurden, traut er sich öffentlich darüber zu sprechen.
Ehrenplatz für Jankowski in der Brigittenkirche
Trotz all der Vorwürfe – einen Ehrenplatz für Henryk Jankowski gibt es in der Brigittenkirche in Danzig immer noch. Es ist die Kirche der Solidarnosc-Bewegung. Hier wurde für den Umbruch im Land gebetet. In einer der hinteren Ecke stehen noch die Tafeln zu Ehren des Priesters. Erst als sich die Vorwürfe gegen ihn mehrten, wurde er im Jahr 2004 seines Amtes enthoben. Zu einem Gerichtsverfahren kam es allerdings nie. Der Priester der Kirche unterstützt eine genaue Untersuchung, wehrt sich aber gegen angebliche Vorverurteilungen: "Jankowskis Türen standen immer offen, er war selten allein. Er arbeitete 20 Stunden am Tag, denn er war auch sehr fleißig. Das sieht alles nach einer reinen Erfindung aus. Eine Gruppe Menschen stiftet Unruhe", sagt Ludwik Kowalski, Prälat der Brigittenkirche.
Mehr als 380 Missbrauchsopfer aktenkundig
Unruhe bringt es allemal, wenn Opferorganisationen mit dem Finger auf Täter zeigen. Mehr als 380 Missbrauchsopfer und 92 Täter sind in der katholischen Kirche Polens aktenkundig. Michal Wojciechowicz fordert gemeinsam mit Oppositionspolitikern in Warschau einen Untersuchungsausschuss. "Der Anfang ist jetzt gemacht. Ich bin davon überzeugt , dass Hunderte oder Tausende Menschen, die missbraucht wurden, nun aus der Deckung kommen und auch ihre Geschichten erzählen", hofft Wojciechowicz.
Die Landkarte Polens ist mit Missbrauchsfällen geradezu übersät. Das Land ist zu 90 Prozent katholisch. Staat und Kirche sind sich nah. Bisher hat die polnische Kirche noch keinen offiziellen Bericht zu den Missbrauchsfällen vorgelegt. "Man muss ja alle Archive seit 1990 durchgehen, bis heute. Man muss dabei jeden einzelnen Fall aus den Dokumenten untersuchen. Das ist eine normale Prozedur. Für solch einen Bericht hat man in Deutschland auch über Jahre die Daten gesammelt. Es ist kein Spiel auf Zeit, um es hinauszuzögern. Absolut nicht", sagt Adam Zak, Koordinator für den Schutz von Kindern und Jugendlichen der katholische Kirche in Polen.
Doch viele Opfer wollen jetzt gehört werden und sprechen. Im neuen Zentrum "Fürchtet Euch nicht" in Warschau haben sie einen Raum dafür. Auf Initiative des Opferverbands können sich Betroffene dort mit anderen Opfern austauschen, sich von Psychologen und Juristen beraten lassen. Auch Michal Wojciechowicz erzählt von seinem eigenen Missbrauchserlebnis in der Jugend und hofft auf Veränderungen: "Ich will eine echt christliche Kirche in Polen! Nicht so eine die den Schein wahrt und Beweise fordert, nicht eine Kirche die aufwiegelt und die Opfer beschimpft. Ich will, dass sich die Kirche endlich mal empathisch und barmherzig zeigt.
Dokumentarfilmer Sekielski arbeitet an Film über Missbrauch
Sein Projekt wird die Amtskirche wohl noch weiter unter Druck setzen: Dokumentarfilmer Tomasz Sekielski. Er arbeitet seit mehr als einem Jahr an einem Film über Missbrauch. Er interviewt unter anderem einen Priester, der einen Amtskollegen trotz Verbot in seiner Gemeinde predigen lässt. Und das, obwohl dieser Kindern nicht mehr zu nahe kommen darf, laut Anordnung seines Bischofs. Der Priester redet sich raus: "Das war eine Veranstaltung in meiner privaten Kappelle, die Gäste sind alles Freunde."
Ähnliches hat Sekielski bei seiner Arbeit häufig erlebt. Die Täter in den eigenen Reihen bleiben geschützt. "Die Priester werden so erzogen, dass man außerhalb der Kirche über die Kirche schweigt. Über böse Sachen schweigt man. Heute deckst Du mich, morgen ich Dich – so ist das bei Ihnen. Deshalb werden diese Priester weiterversetzt in einen anderen Pfarrbezirk. Ich zeige in meinem Film auch Priester, die so durch ganz Polen gereist sind, obwohl sich auch dort Dinge ereigneten, wo der Priester sein Amt hätte verlieren müssen", erzählt Tomasz Sekielski.
Hoffen auf Papst Franziskus
In Danzig ist das Denkmal des Priesters Jankowski wieder unverhüllt. Michal Wojciechowicz will jetzt einmal im Monat zum Protest aufrufen. Die Statue muss weg. Und wenn die Stadt das Denkmal nicht entfernt? "Ich reiße es einfach ab und das wars. Das Denkmal wird hier nicht bleiben und den Menschen Angst machen. Es beleidigt die Danziger und die Opfer", sagt Wojciechowicz.
Demnächst tagt in Rom ein Kongress zum Thema Missbrauch. Vom jetzigen Papst Franziskus erhofft er sich mehr Unterstützung als vom polnischen Papst Johannes Paul II. Denn der habe jahrzehntelang weggeschaut und kaum etwas unternommen gegen den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche. Autor: Olaf Bock, ARD Studio Warschau
Autor: Olaf Bock, ARD Studio Warschau
Stand: 13.09.2019 01:04 Uhr
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