Mo., 26.09.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Russland: Patriotismus in Kaliningrad
Schon die Kleinsten sollen lernen, worauf es ankommt. Und so beginnt die Einschulung in Kaliningrad mit dem Singen der russischen Nationalhymne. Eine patriotische Erziehung – das ist auch Familie Schustovoi wichtig. Sie sind vor kurzem aus Wladiwostok, also ganz aus dem Osten, nach Kaliningrad gezogen. Eigentlich wollten sie damit Europa näher kommen, doch nun stellen sie sich ohne Einschränkung hinter den russischen Präsidenten. Die Aufrüstung, die sie in ihrer neuen Heimat erleben, begrüßen sie. Doch Birgit Virnich hat in Kaliningrad auch junge Menschen getroffen, die sich wünschen, dass ihr Land gegenüber Europa weniger aggressiv auftreten würde.
"Sie sollen doch Patrioten werden"
Schulfest in Kalinigrad. Dem kleinen German ist etwas mulmig zumute. Es ist sein erster Schultag. Er ist gerade erst mit seinen Eltern nach Kaliningrad gezogen. Letzte Anweisungen und dann ertönt die Nationalhymne. Die Schule Nr. 12 gilt als besonders vaterlandstreu verbunden. Alles muss sitzen. Patriotisch wollen sie hier die Kleinen erziehen: "Man will doch, dass heranwachsende Kinder die Geschichte ihres Landes kennen. Sie sollen doch Patrioten werden", sagt Germans Vater Pjotr Schustovoi.
Das finden die meisten hier: "Die Schule Nr.12 ist eine der ersten, die in das neue Bildungssystem eingestiegen ist, in dem eine patriotische Bildung eine große Rolle spielt. Es ist wichtig, dass Länder, die zu uns keine guten Beziehungen haben, unsere Stärke spüren. Aufrüstung ist notwendig, damit man Angst vor uns hat", sagt eine Mutter. So sehen das viele Eltern. Eine patriotische Erziehung sollte schon in der Schule beginnen, davon sind sie überzeugt. Am besten schon im Kindergarten.
Ostsee-Flotte wird aufgerüstet
Stadtrundfahrt durch Kaliningrad: Familie Schustovoi feiert die Einschulung. Früher galt Kaliningrad als Russlands Tor zum Westen. Hier sollte eigentlich eine Art Hongkong entstehen, ein Handelsplatz, der die Nähe zu Europa nutzt. Seit Mitte der 1990er-Jahre investierte die Regierung nur noch wenig ins Militär. Die russische Ostsee-Flotte rostete vor sich hin. Doch jetzt rüsten sie wieder auf. Alina und Pjotr staunen. Das hätten sie nicht erwartet.
Ihre Familie in Wladiwostok, im Fernen Osten Russlands macht sich Sorgen: "Meine Mutter ruft mich dauernd an. Im Fernsehen habe sie gesehen, dass wir umzingelt seien. Hier würden NATO-Truppen zusammengezogen", erzählt Pjotr Schustovoi.
Stärke zeigen gegenüber dem Westen
Kaliningrad – Russlands neuer militärischer Vorposten? Bootsführer Gennadij hat beobachtet, wie hier aufgerüstet wird: "Man sieht viele neue Schiffe. Die Flotte muss wiederhergestellt werden. Wie damals bei Peter I. Die Zeiten sind gerade ganz ähnlich"
Ein gutes Gefühl, meint er – wie die neuen Kriegsschiffe stolz und mächtig daliegen. Und auch die Führung der Flotte wurde ausgetauscht. Mehr als 30 Offiziere. Sie meisten Neuen stammen aus dem russischen Geheimdienst. Außerdem heißt es, sollen Kurzstreckenraketen aufgestellt worden sein.Das russische Militär stellt in Kaliningrad wieder seine Macht zur Schau.
Alina Schustovoi, Mutter des kleinen German, findet das absolut richtig. Ihr Mann ergänzt: "Genau. Vielleicht wird einiges übertrieben, aber ich bin der Meinung, man hätte auf die Sanktionen noch härter reagieren können." Man müsse Stärke zeigen – gegenüber dem Westen
Wagenburgmentalität statt Weltoffenheit
Früher haben sie sich gegenüber dem Westen nicht so abgekapselt. Auf dem Markt konnte die Kaliningrader Waren aus den Nachbarländern kaufen. Jetzt kaum noch – wegen der Sanktionen. Die Beziehungen zu den baltischen Nachbarstaaten sind auf einem Tiefpunkt. Nina, die Marktfrau, hat wenig Verständnis für deren Ängste: "Unsere Nachbarn sind selber schuld. Sie sind klein und neidisch, sie sind nicht selbstständig. Sie werden von außen verwaltet. Ich bin stolz auf mein Land, weil es unabhängig ist und darauf, dass an der Spitze jemand steht, der Russlands Unabhängigkeit stärkt."
Das sehen einige Jugendliche in Kaliningrad ganz anders. Obwohl sie Russen sind, setzen sie sich dafür ein, den alten Namen "Königsberg" wieder einzuführen. So wollen sie an die deutsche Vergangenheit der Stadt erinnern. Sie fühlen sich als Teil Europas und plädieren dafür, dass Russland – ähnlich wie die Länder des Baltikums – den europäischen Weg einschlägt. "Wir sind der Meinung, dass das dazu führen würde, dass wir Russen hier weniger aggressiv gegenüber dem Westen und gegenüber Europa auftreten. Vielleicht würden meine Landsleute sich so wenigstens ein bisschen als Europäer betrachten und das Erbe, das die hier hinterlassen haben, respektieren", sagt Alexander. Für viele Russen eine Provokation, meint er. Die frühere Weltoffenheit Kaliningrads scheint zunehmend einer Wagenburgmentalität zu weichen.
"Unser Präsident macht das schon alles richtig"
Familie Schustovoi war eigentlich von Wladiwostok an der chinesisch-russischen Grenze weggezogen, um näher an Europa zu leben. Doch im Augenblick ist ihnen das nicht mehr so wichtig. "Wir sind der Meinung dass unser Präsident die richtigen Entscheidungen trifft. Wir werden oft provoziert, wie man sieht. Natürlich kann man nicht allem glauben. Aber unser Präsident macht das schon alles richtig", glaubt Pjotr Schustovoi. Trotzdem hoffen sie natürlich, dass die Gräben zwischen Russland und dem Westen nicht noch tiefer werden und sich die Situation in Kaliningrad wieder normalisiert.
Autorin: Birgit Virnich, ARD-Studio Moskau
Stand: 12.07.2019 20:38 Uhr
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