So., 07.04.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Australien – Der "Bite-Club" – Neues Leben nach dem Hai-Angriff
Genau hier ist es passiert. An einem ganz normalen Mittwoch. Nach Feierabend noch eine Runde surfen gehen. Für Dave Pearson gab es nichts Schöneres. Doch dann greift plötzlich aus der Tiefe ein drei Meter langer Hai an. "Heute ist der Tag an dem ich sterbe, dachte ich. Unter Wasser habe ich dann an meine Familie gedacht und mir gesagt. 'Nein! Nicht heute!' Ich habe mich vom Grund wieder hochgedrückt. Als ich dann an meinem Arm heruntergeschaut habe, da hing der Unterarmmuskel wie ein Fetzen herunter. Ich habe meinen blanken Knochen gesehen. Überall war Blut und ich dachte, es stimmt also, was man in Filmen sieht, das Wasser färbt sich rot."
Seine Freunde ziehen ihn an den Strand. Dave überlebt. Sein Unterarm muss nicht amputiert werden. Trotz der heftigen Wunde. Ein Tattoo überdeckt jetzt die Narben. Doch die psychischen Wunden heilen nur langsam. Noch im Krankenhaus hat Dave eine Idee: Er will Opfer von Hai-Angriffen zusammenbringen. Der Bite-Club war gegründet. Das Wichtigste dabei: Sprechen über das Erlebte. Immer wieder erzählt er deshalb, was ihm passiert ist. Sein Board von damals hat er aufbewahrt. Die Abdrücke der messerscharfen Haifisch-Zähne sind noch zu sehen.
Gefahr durch Haie blenden Surferinnen und Surfer aus
Wellenreiten an einem der Traumstrände in Australien. Das lieben die Leute Down Under. So wie hier am legendären Bondi Beach in der Metropole Sydney. Neoprenanzug auf der Haut, ein Board unterm Arm – alle Generationen gehen hier aufs Wasser. Gedanken über die Gefahr durch Haie blenden die meisten lieber aus. "Das ist das Revier der Haie, und meins auch. Wir teilen uns das. Bin zum Glück noch keinem begegnet", sagt ein Mann. Eine Frau dazu: "Ich versuche nicht daran zu denken. Ich genieße es und sage mir, da sind schon keine Haie." Ein weiterer Mann: "Manchmal hat man das im Hinterkopf, aber wir stehen ja nicht auf der Speisekarte der Haie. Ich fühle mich sicher."
Er will für noch mehr Sicherheit sorgen. Marcel Green hat ein ausgeklügeltes System für die Küste Australiens entwickelt. Es soll Schwimmer und Surfer rechtzeitig vor Haien in der Nähe warnen. Wenn ein Hai vor der Küste in den Köder an so einer Boje beißt, implantiert das Team von Marcel ihm kurz danach einen Sensor, und lässt ihn wieder frei. In der Hai-Alarm-App kann dann jeder sehen, wo das Tier sich wieder blicken lässt.
Doch warum häufen sich die Zwischenfälle mit Haien in Australien? Hier im Aquarium von Cairns studieren sie das Verhalten der Raubfische. Seit mehr als 400 Millionen Jahren bereichern sie das Unterwasser-Ökosystem. Doch weil in manchen Ländern die Flosse als Delikatesse gilt, sind Haie bedroht. Trotzdem kommen sie häufiger und näher an die Küsten: "Das könnte daran liegen, dass sie nach Futter suchen. An Geräusche, die sie anziehen. Oder an welche draußen, die sie erschrecken und von gewohnten Strecken abbringen. Es gibt viele Gründe warum Haie dort auftauchen, wo man sie normalerweise nicht sieht", erklärt Daniel Leipnik vom Cairns Aquarium.
Bite-Club bringt Betroffene und Angehörige zusammen
Kevin Trost für Menschen, für die durch einen Haiangriff nichts mehr so ist wie früher. Wir treffen Kevin Young in Port Macquarie. Vor zehn Jahren starb sein Sohn Zac, mit 18. Auch er war mit Freunden Surfen. Kevin erinnert sich noch genau an den Tag, als plötzliche ein Polizist vor ihm stand und ihm die Nachricht überbrachte. "Er sagte nur: 'Kevin Ihr Sohn Zac ist gerade bei einem Haiangriff getötet worden.' Ich war überwältigt von meinen Gefühlen, habe leise angefangen zu weinen. Ich war darauf nicht vorbereitet."
Und so geht es fast allen, die durch einen Haiangriff ganz plötzlich viel verloren haben. Freunde, Verwandte oder den eigenen Lebensmut. Ihnen allen hilft der Bite-Club. Auch wenn Außenstehende sich darüber manchmal lustig machen: Dave, Kevin und den anderen gibt diese Gemeinschaft Halt. "Unterstützung. Die Leute helfen sich gegenseitig in schweren Zeiten. Wir lachen gemeinsam, wir weinen gemeinsam. Und helfen uns, da durchzukommen. Keiner versteht, wie es sich anfühlt, von einem Hai angegriffen zu werden. Bis tatsächlich einer angreift. Wir verstehen und unterstützen uns", sagt ein Mitglied des Clubs.
Heute hat der Bite Club einen Weltrekordversuch organisiert. Ein sogenanntes Paddle Out. Dabei schwimmen viele Surfer gemeinsam raus, bilden mit ihren Boards einen großen Kreis auf dem Wasser. Und gedenken einem Verstorbenen. Heute ist es der Sohn von Kevin. Der Pazifik ist rau. Mit der kreisrunden Formation auf dem Wasser klappt es nicht so ganz. Der Eintrag ins Guinnesbuch muss warten. Doch vor allem für Opfer von Haiangriffen ist die Zeit im Wasser mit anderen auch eine Art Therapie. Und eine Gewissheit, dass die Surfgemeinde in Australien zusammenhält.
Bite Club will Zahl der Todesfälle reduzieren
Ziel des Bite Clubs ist auch: Die Zahl der Todesfälle zu reduzieren. Gemeinsam mit Behörden und Badeorte haben sie ein Erste Hilfe Set entwickelt. Speziell für den Einsatz nach Hai-Attacken. Weil die meisten Opfer durch schnellen hohen Blutverlust sterben, ist zum Beispiel das sogenannte Tournequai zum Abbinden mit drin. "Umlegen und dann richtig fest drehen. Das tut weh. Und dann warten bis professionelle Hilfe kommt", erklärt Dave.
Mittlerweile kann Dave wieder angstfrei surfen gehen. Aber auch viele Jahre nach der Hai-Attacke geht er mit einer anderen Einstellung aufs Wasser, und durchs Leben. "Wir denken immer, wir Menschen sind ganz oben in der Ernährungskette. Aber wenn Du dann da draußen bist, und der Hai will dich fressen, dann relativiert sich vieles schnell. Das ist schon was anderes."
Das Risiko einer Hai-Attacke ist grundsätzlich immer noch gering. Auch wenn sich die Meldungen in Australien häufen. Deshalb nicht mehr Surfen zu gehen, kommt für kaum jemanden hier in Frage.
Autor: Florian Bahrdt, ARD-Studio Singapur
Stand: 07.04.2024 19:29 Uhr
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