So., 14.07.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Ecuador: Drogen für Europa – Kokainschwemme aus Südamerika
Entspannt fühlt sich Pablo Iturrade im Grenzgebiet zwischen Ecuador und Kolumbien. Militär patroulliert auf dem Fluss und in den Mangrovenwäldern verstecken sich Drogenschmuggler. "Das ist eine komplizierte Zone. Diese Wasser-Straßen sind Flucht-Wege. Hier wurden bereits drei U-Boote mit Kokain gefunden", sagt Iturralde von der Stiftung "Tierra para todos".
Die Banden schmuggeln Drogen und Benzin. Pablo bringt Schulunterlagen in drei Kartons, finanziert von seiner Stiftung. Sein Ziel heute: Campanita, einfache Holzhütten, zwei dutzend Familien. Viele seien geflüchtet, erzählt Dorf-Chef Antonio Alberto Angulo Cortez, weil sich Drogenbanden aus Kolumbien hier bekämpften. "Einer von uns wurde umgebracht, die Hälfte der Menschen flüchtete damals." Pablo will die geschlossene Schule wiedereröffnen. Denn ohne Bildung, ohne Chancen geraten Jugendliche auf die schiefe Bahn, sagt er.
Problem: Koka-Felder auf der kolumbianischen Seite
Wir sollen die Kamera-Drohne steigen lassen, um das Problem zu sehen: Koka-Felder auf der kolumbianischen Seite. An der Grenze gibt es riesige Anbaugebiete. In Campanita, auf der ecuadorianischen Seite der Grenze, leben sie von den Muscheln, die Frauen von den Wurzeln der Mangroven ernten. Ein Knochenjob. Die acht Dollar Verdienst am Tag reichen kaum aus. Kolumbien lockt: Beim Kokapflücken verdiene man schnell das Dreifache. Pablo erzählt: "Die Jugendlichen sagen: 'Ich will ein Handy, ein Motorrad, ich will ein Bier in der Stadt trinken gehen. Was soll man hier arbeiten.' Oft sehen sie in der Koka-Ernte drüben die einzige Chance."
Pablo kämpft gegen übermächtige Gegner. Der Staat ist abwesend. Dennoch hoffen sie, dass die Regierung bald einen Lehrer schickt. In der Grenzregion gibt es viele vergessene Dörfer, viel Armut und fehlende Perspektiven. Banden rekrutieren Jugendliche, oder zwingen sie, Drogen zu handeln. Reich macht das hier keinen. Aber die Folgen spüren sie. In der Kleinstadt San Lorenzo sollen wir nur mit Begleitschutz filmen. Razzia der Polizei. Während die Beamten Männer durchsuchen, dröhnt aus einem Haus Musik. "Ich bin wie Pablo Escobar", geht der Text. "Ich flüchte in meinem Narco-Boot und schmuggle die Ware."
Die Polizei schnappt diesmal nur kleine Fische. Konsumenten. San Lorenzo gilt als Hotspot des Kokain-Handels, Gangs bekämpfen sich. Einwohner reden nur anonym."Sie haben mich erpresst. Sie wollten 600 Dollar. Ich hab gesagt, ich habe nicht so viel. Sie meinten nur: Besorg das Geld." Das Militär rückt öfter aus, weil hier die "Ruta blanca", die weiße Route, beginnt – die Kokain-Route in Richtung der Hafenstädte. Manchmal finden sie etwas Richtung Süden sehen wir auch verwaiste Check-Punkte. Laxe Kontrollen, Armut und Korruption machen Ecuador zum Kokain-Exporteur.
Drogen für Europa
In Guayaquil, der größten Hafenstadt organisiert das internationale Verbrechen den Schmuggel. Mexikaner und Mafias aus Italien und Albanien. Experte Pedro Granja bekommt Morddrohungen, weil er die Strukturen aufdeckt. Drogenbosse aus Italien kontrollierten hier das Geschäft mit Europa. "Die Italiener wollen unentdeckt bleiben. Sie töten nicht mehr selbst. Sie haben jetzt Leute, die das für sie machen. Die Albaner. Sie sind wie Angestellte, sie machen die Drecksarbeit. Deshalb sitzen viele Albaner hier im Knast", sagt Granja. Das größte Problem aber: Die Korruption, die Ecuador durchdrungen hat, bis in höchste Ämter. "Die wahren Profiteure des Geschäfts sind die Politiker, die Kontakt zu den Kriminellen haben. Dass die Kartelle hier arbeiten, zeigt, dass der Staat seine soziale Aufgabe völlig vergessen hat", so Pedro Granja.
Die Häfen, Brennpunkt. Banden bestechen Mitarbeiter, verstecken das Kokain in Containern. Filmen dürfen wir im großen Container-Hafen nicht. Nur in einem kleinen privat betriebenen Terminal können wir drehen. Chef Giancarlo Barco erklärt die Strategie: Waren, wie Düngemittel, schütten sie direkt in den Laderaum. Drogenhändler hassen das, weil sie die Kokain-Pakete kaum wiederfinden. Dazu sichern Dutzende Kameras das Gelände. "Die Drogenhandel ist eine so starke Industrie, dass wir sehr wachsam sein müssen. Wenn die Sicherheit an den Containerhäfen plötzlich hochgefahren wird, werden die Kriminellen neue Wege suchen. Sie sind wie Wasser, wollen die Drogen fließen lassen. Wir wollen nicht diese Schwachstelle sein", erklärt Geschäftsführer Giancarlo Barco.
Sie haben aufgerüstet. Durchleuchten auch ihre Mitarbeiter. Wenn die erpresst werden, nütze der beste Scanner nichts. Experte Granja fordert, vor allem mehr gegen die Armut zu tun. Sonst schwemmen weiter Drogen nach Deutschland. "Deutschland muss sagen: Moment mal. Bevor wir Geld oder Technik geben, wollen wir einen Plan sehen. Einen ernsthaften Plan, wie man die Polizei von Korruption befreit, wie man die Reihen des Militärs durchleuchtet. Und einen Plan, wie die Regierung in Armenvierteln arbeiten will."
Schulbücher statt Militär
In Dörfern, wie Mataje, an der Grenze zu Kolumbien. Pablo Iturralde will hier helfen. Der Staat lasse sich nicht blicken. Nur das Militär besteht darauf, uns beim Dreh zu beschützen. Die Menschen fühlen sich zu Unrecht verdächtigt, sie seien selbst Opfer von Gewalt. Und werden zusätzlich ausgegrenzt. Wer aus Mataje stamme, bekomme weder gute Jobs noch einen Kredit. "Klar, dann gibt es Probleme, wenn man nicht überleben kann. Was machst du, wenn deine Hände und dein Kopf nicht beschäftigt sind?", sagt Maria Daniela Frontero. Und Jonathan ergänzt: "Wir sind hier im Dorf allein gelassen. Die Politik hat uns total vergessen."
Pablo macht die Arbeit, die der Staat liegen lässt. Im nächsten Dorf will er mit Spenden die Schule renovieren.: "Bildung hilft, die Hoffnung hierher zurückzubringen. Sie ist der Kern." Ecuadors Staat schickt Militär, Pablo bringt Schulbücher. Ein langer, langsamer Weg zur Veränderung, sagt er – aber einer, der sich lohnt.
Autorin: Marie Kristin Boese, ARD-Studio Mexiko-Stadt
Stand: 14.07.2024 20:33 Uhr
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