So., 24.09.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
Indonesien: Inselbewohner verklagen Weltkonzern
Die Insel Pari ist ein kleines Paradies, eine Bootsstunde von Jakarta entfernt. Die Menschen hier leben vom Fischfang und von Touristen, die frische Luft, Ruhe und tolle Tauchreviere suchen. Sie alle haben Angst vor dem Untergang. Denn die Insel liegt nur anderthalb Meter über dem Meeresspiegel. Weil dieser immer weiter steigt, stehen Teile von Pari regelmäßig unter Wasser. Die Bewohner fühlen sich bedroht. In ihrer Verzweiflung haben vier von ihnen Klage eingereicht. Gegen Holcim, einen der größten Zementhersteller der Welt mit Sitz in der Schweiz.
Hohe Wasserstände hinterlassen Schäden und Dreck
Auch Arif Pujianto hat mitgeklagt. Er wohnt ziemlich nah am Strand. Darum hat er hautnah mitbekommen, wie das Wasser unaufhaltsam an der Insel nagt. "Wo wir hier stehen, waren wir vor einiger Zeit so ungefähr acht Meter vom Wasser entfernt. Es kam immer näher, und jede Flut wird heftiger. Das Meer zerstört die ganze Küste. Immer häufiger ist hier schon die halbe Insel überschwemmt."
Wie das an solchen Tagen aussieht, haben Bewohner mit dem Smartphone gefilmt. Für einen Tag steht dann alles unter Wasser. Wenn sich das Meer wieder zurückzieht, hinterlässt es Schäden und Dreck. Und bei den Einwohnern Wut und Verzweiflung. Arif nimmt uns mit in sein Haus. Hinter der Küche ist der Grundwasserbrunnen. Eigentlich ein echter Luxus auf der Insel, wo Trinkwasser ein kostbares Gut ist. Doch jetzt hat er gar nichts mehr davon. "Am Anfang konnten wir das Wasser sogar trinken. Und wir haben es zum Kochen benutzt, Gemüse gewaschen. Aber jetzt ist es total versalzen, wir können es nicht mal mehr zum Geschirrspülen nutzen, so verdreckt und salzig ist das."
Klage gegen Zementproduzent Holcim
Arif will jetzt kämpfen. Und hat sich der Klage angeschlossen. In ihrer Not wissen sich die Menschen auf der Insel nicht anders zu helfen. Die Kläger argumentieren: Die Zementindustrie sei mitverantwortlich für den Klimawandel und damit für den Untergang von Pari Island. Konkret fordern die Kläger umgerechnet rund 4.000 Euro pro Person. Schadensersatz und Kosten für Schutzmaßnahmen, außerdem für Verdienstausfälle. Weil weniger Touristen kommen und der Fischbestand schrumpft.
Auch Bobi klagt gegen Holcim. Seit mehr als 30 Jahren fährt er zum Fischen raus. Macht es wirklich Sinn, von einer einzelnen Firma Geld zu fordern für ein globales Phänomen? Bobi sieht das so: "Das ist, wie wenn jemand irgendwo Feuer macht, und der Rauch zieht hier rüber. Wir bekommen die Folgen zu spüren. Und irgendwo müssen wir ja anfangen. Wir finden, die Firma hat schon zu viel Dreck in die Luft geblasen. Das prangere ich an!"
Tatsächlich verantwortet die Zementindustrie acht Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen. Fünf Mal so viel wie der gesamte Flugverkehr. Das liegt an der energieintensiven Herstellung mit Temperaturen über 1.400 Grad. Und kaum ein Zementproduzent verursacht insgesamt so viel CO2 wie Holcim. Allerdings verweist die Firma auf die eigenen ambitionierte Klimaziele. Sie sei darum eigentlich der falsche Adressat dieser Klage. Was hält Holcim also von der Klage der indonesischen Inselbewohner? Schriftlich äußert sich das Unternehmen dem ARD Weltspiegel gegenüber so: "Wir glauben nicht, dass Gerichtsverfahren, die sich auf einzelne Unternehmen konzentrieren, ein wirksamer Mechanismus sind, um die globale Komplexität des Klimaschutzes zu bewältigen."
Magroven sollen Insel schützen
Parid Ridwanuddin sieht das genau anders. Er arbeitet für Indonesian Forum for Environment (WALHI), der größte Umweltschutzorganisation Indonesiens in der Hauptstadt Jakarta. Zusammen mit zwei weiteren Organisationen aus Europa hat er die Klage ins Rollen gebracht. Seine Logik: Nur wenn es einem Unternehmen richtig weh tut, dann bessern sich auch die anderen. "Meine Hoffnung ist, dass diese Aktion sich von der Insel Pari ausbreitet auf andere Inseln, und auf andere Menschen, die unter dem Klimawandel leiden. Dass alle sich ermutigt fühlen, etwas zu tun und zu kämpfen. Man muss nicht jedes Mal eine Firma verklagen. Aber das Bewusstsein für den Klimawandel müssen wir schaffen. Es muss Gerechtigkeit geben, weil wir uns in einer richtig heißen Phase der Erderwärmung befinden."
Auf der Insel Pari tun sie so lange alles Mögliche, um ihr Paradies zu schützen. Auch Asmani hat geklagt. Sie pflanzt Magroven vor den Stränden. Die Gewächse schützen die Insel vor der Brandung und bieten jungen Fischen Schutz. Mehr als 20.000 Pflanzen haben sie hier schon gesetzt. "Wir haben damit schon angefangen, bevor wir die Klage eingereicht haben, aber nun wird es mit der Erosion hier immer schlimmer. Auch wenn ich Angst habe vor der Zukunft – wenn ich Mangroven pflanze, dann gibt mir das ein gutes Gefühl. Ich denke, ich tue etwas für die Zukunft. Für meine Kinder und Enkelkinder."
Was aus ihrer Klage gegen den Zementhersteller wird, ist ungewiss. Der Prozess in der Schweiz hat noch nicht begonnen. Vor Gericht zu ziehen, für viele auf Pari vor allem ein symbolischer Schritt. Aber den drohenden Untergang ihrer Insel – den fürchten sie jeden Tag – ganz konkret.
Autor: Florian Bahrdt, ARD-Studio Singapur
Stand: 23.09.2023 21:43 Uhr
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